Wie ein Dokumentarfilm über osteuropäische Volksmusik sieht "Cold War" am Anfang aus. Bettelarme, ausgemergelte Dorfbewohner tragen mit trauriger Mine traditionelle Lieder vor oder spielen mit schmutzigen Fingern auf seltsamen Instrumenten, eines sieht aus wie ein Dudelsack mit Fußpedal. Die Texte sind deftig: "Ich lass die Finger vom Pflaumenschnaps, denn davon tut mir nur der Schädel weh", heißt es in einem Vortrag, "nein, den Herren heirate ich nicht" in einem andern. Gerade, wenn man sich eingeschwungen hat auf ein Lied, ist der Film schon wieder beim nächsten, und schnell kommt auch ein Mikro ins Bild. Paweł Pawlikowski mag die Lust auf authentisches Volksgut, den sein Filmanfang weckt, nicht einfach befriedigen - er zeigt ihn als den Anfang einer Verwertungskette. Die Lieder, die der Komponist Wiktor (Tomasz Kot) mit einer Choreografin und einem Vertreter der Kulturbehörde sammelt, werden zum Repertoire eines neuen Volksmusikensembles; später werden sie zu Chansons oder Schlagern arrangiert.
Die Musik bildet das Rückgrat dieses Films; sie markiert die Kapitel einer Liebesgeschichte, die zwischen Ost und West, dem kommunistischen Polen mit seiner Folklore und Propaganda und dem Paris der Existenzialisten und des Cool Jazz hin und her pendelt. Aber sie erscheint auch als wenig zuverlässige Schönheit, die ihre Notenfähnchen nach dem Wind hängt. "Cold War" ist auch eine Geschichte von Leidenschaft und Anpassung.
Pawlikowski, der 1957 in Warschau geboren wurde, Polen als 14-Jähriger verließ, um schließlich in England zu leben, kehrt nach seinem mit dem Auslands-Oscar prämierten Film "Ida" ein zweites Mal nach Polen zurück. Wieder erzählt er von der Nachkriegszeit. Und vielleicht ist sein ungewöhnlicher Filmeinstieg ja auch eine Suche nach den eigenen Wurzeln. "Cold War" ist jedenfalls seinen Eltern gewidmet, nach denen die Protagonisten auch benannt sind. "Sie beide waren starke, wunderbare Menschen, aber als Paar eine unendliche Katastrophe", sagt der Regisseur.
Die Liebesgeschichte seines Films (die in vielen Details dann doch anders ist als die seiner Eltern) beginnt 1949, in den Ruinen einer Gesellschaft, die sich unter kommunistischen Vorzeichen neu definiert. Der begabte Komponist Wiktor reist als musikalischer Ethnograf durch das Land, auf der Suche nach Melodien, Sing- und Tanztalenten. Dabei trifft er Zula (Joanna Kulig) und ist gleich elektrisiert. Zula ist keine unschuldige Landpomeranze, das ist klar. Sie ist auf Bewährung raus, hat angeblich ihren Vater mit dem Messer angegriffen. Joanna Kulig hat eine tolle Ausstrahlung, die immer wieder an die junge Brigitte Bardot erinnert: schön und temperamentvoll, mit viel Chuzpe und etwas lasziv. Ihr Vorsingen ähnelt den Casting-Sendungen von heute. Einfach so unterbrechen und abwiegeln aber lässt Zula sich nicht. Inbrünstig singt sie einen russischen Schlager zu Ende: "Herz, du suchst keinen Frieden, Herz, es ist gut, am Leben zu sein." Und in diesen Zeilen liegt schon der Schlüssel zu ihrer Persönlichkeit. Immer wieder ist es die Musik, die "spricht", wo die Figuren stumm bleiben.
Wiktor und Zula beginnen eine leidenschaftliche Beziehung, die 15 Jahre und die Trennung durch den Eisernen Vorhang überdauern wird. Dabei bleiben sie füreinander - und auch für den Zuschauer - hermetisch. Das liegt zum einen daran, dass Pawlikowski sie nicht erklären will, psychologische Ausdeutungen seiner Figuren sind ihm zuwider. Es liegt aber auch an Zula und Wiktor selbst, die von Anfang an nicht richtig zusammenkommen, sich abarbeiten am anderen. Jeder Mensch ist hier eine Insel oder - um im Bild des (politischen) Kalten Krieges zu bleiben - ein Block für sich. "Ich werde überall und bis in alle Ewigkeit bei dir sein", schwört Zula Wiktor, als ihre Liebe noch ganz frisch ist. "Aber ich muss dir was sagen: Ich verpfeife dich."
Während Zula, die aus bescheidenen Verhältnissen kommt, sich mit dem Kommunismus arrangiert und ihren Starstatus im Volksmusikensemble genießt, ist Wiktor ein Romantiker mit bildungsbürgerlichem Hintergrund, der im zunehmend stalinistisch geprägten Polen keine Zukunft für sich sieht. Ein Gastspiel in Berlin nutzt er zur Flucht. Zula, die eingeweiht war, bleibt zurück. Die beiden können sich in den nächsten Jahren nur kurz sehen, bevor auch Zula 1959 die Ausreise gelingt.
Die Zersplitterung der Welt und die Isolation seiner Figuren spiegelt Pawlikowski in einer elliptischen Erzählweise. Zwischen zwei Bildern können Jahre und Hunderte Kilometer liegen - so zerstört der Regisseur jede Anmutung von Kontinuität. Von Ort zu Ort werden die Liebenden getrieben und von einer Klangwelt in die nächste. Aber weder Volksmusik noch Jazz, weder Chanson noch Rock 'n' Roll werden zur Heimat. "Cold War" ist auch eine Studie des Exils, in dem Wiktor zur Mittelmäßigkeit schrumpft und Zula ihre Liebe fast verliert.
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Das alles ist verführerisch schön, in erlesen komponierten, sehr coolen Schwarz-Weiß-Bildern fotografiert, die "Cold War" schon jetzt wie einen Klassiker wirken lassen. Pawlowski ist ein großer Stilist. Für "Cold War" bekam er den Preis für die beste Regie in Cannes; mit fünf Nominierungen in allen wichtigen Kategorien gilt der Film außerdem als Favorit beim Europäischen Filmpreis. Wie "Ida" ist er im sogenannten Academy-Format mit dem Seitenverhältnis von 4:3 gedreht, die Bilder wirken fast quadratisch. Es sind Bilder, die die Figuren einengen, in denen die Sehnsüchte dann umso größer werden nach einer Leidenschaft, die im Alltag aber nicht gelebt werden kann.
Zimna wojna , Polen/GB/F 2018 - Regie: Paweł Pawlikowski. Buch: P .Pawlikowski, Janusz Glowacki. Kamera: Łukasz Żal. Schnitt: Jarosław Kamiński. Mit: Joanna Kulig, Tomasz Kot, Borys Szyc, Agata Kulesza, Cédric Kahn, Jeanne Balibar. Neue Visionen Filmverleih, 89 Minuten.