Medizin & Literatur:Elementar

Lesezeit: 1 min

In vielen Büchern hat Oliver Sacks die narrative Medizin der Fallgeschichten des 19. Jahrhunderts wiederbelebt. Seine letzten Essays handeln vom nahen Tod.

Von Christopher Schmidt

Als Autor hat der britische Neurologe Oliver Sacks das Genre der narrativen Medizin wiederbelebt. In Büchern wie "Awakenings: Zeit des Erwachens" (1973) oder "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte" (1985) erzählte er Fallgeschichten nach den Vorbildern des 19. Jahrhunderts. Doch zuletzt suchte Sacks Trost in einer Welt, "in der es kein Leben gibt, aber auch keinen Tod". Schon als Kind hatte er seine Geburtstage mit den Ordnungszahlen der Elemente verbunden (mit elf Jahren war er beispielsweise Natrium, Element 11) - und das Periodensystem zu seinem Gefährten gemacht. "Mein Selbstverständnis als Arzt der Vergessenen und Ausgegrenzten", so schreibt er, "macht auch vor der anorganischen Welt nicht halt und manifestiert sich in meinen Gefühlen für Bismut", das "selbst von Metall-Aficionados" häufig missachtet werde.

Seinen Bismut-Geburtstag (Element 83) hat er nicht mehr erlebt. Kurz nachdem er 2014 seine Autobiografie "On the Move" abgegeben hatte, erfuhr Sacks, dass er nur noch Monate zu leben haben würde. Binnen weniger Tage schrieb er den Essay "Mein Leben", mit dem er in der New York Times seine unheilbare Krebserkrankung öffentlich machte. Diesen Abschieds-Text sowie drei weitere Texte, die noch in seinem letzten Sommer entstanden, versammelt nun ein kleiner Band mit dem Titel "Dankbarkeit". Im abschließenden Essay "Sabbat" schreibt Sacks über seine Homosexualität, die ihn aus der streng gläubigen Familie ausschloss. Erst kurz vor seinem Tod versöhnte er sich mit seiner jüdisch-orthodoxen Herkunft. "Mir kommt der Sabbat in den Sinn, der Tag der Ruhe, der siebte Tag der Woche, vielleicht auch der siebte Tag des eigenen Lebens, der einem das Gefühl gibt, man habe seine Arbeit getan und dürfe nun guten Gewissens ruhen." Oliver Sacks starb am 30. August 2015 im Alter von 82 Jahren. Seine Lehren sind aus Element 79: Gold.

Oliver Sacks: Dankbarkeit. Aus dem Englischen von Hainer Kober. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 64 Seiten, 8 Euro.

© SZ vom 22.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: