Medienkrise trifft Associated Press:Mörderische Konkurrenz

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Zwei Dinge erhellen laut Mark Twain die Welt: die Sonne und die Nachrichtenagentur AP. Nun hat die Medienkrise sie mit aller Wucht getroffen: AP senkt die Preise.

N. Piper

Mark Twain hob Associated Press in den Himmel. "Es gibt nur zwei Kräfte, die Licht in den letzten Winkel der Welt bringen können", sagte der Schriftsteller 1906. "Die Sonne oben am Himmel und Associated Press unten auf der Erde. Das klingt, als wollte ich der Sonne schmeicheln, ich meine es aber nicht so." Neun Jahre zuvor hatte Twain den Telegraphendienst von AP in London für eines der berühmtesten Dementis der Weltgeschichte benutzt. Das New Yorker Journal hatte gerade gemeldet, der Schriftsteller sei gestorben, worauf dieser verlauten ließ: "Die Berichte über meinen Tod sind erheblich übertrieben."

Dunkle Zeiten: die australische Sonnenfinsternis vom 4.12.2002, aufgenommen von der Nachrichtenagentur AP. (Foto: Foto: AP)

Heute ist Associated Press, eine Genossenschaft von 1500 amerikanischen Zeitungsverlegern, zwar immer noch eine der größten Nachrichtenagenturen der Erde. Statistisch gesehen bekommt mehr als die Hälfte der Menschheit jeden Tag mindestens eine AP-Meldung zu sehen. Aber die Institution steckt in einer schweren Krise, genauer: Sie ist Opfer der Medienkrise. AP bedient mit 3000 Journalisten alleine in den Vereinigten Staaten 1700 Zeitungen und mehr als 5000 Radio- und Fernsehsender.

Und die meisten dieser Kunden stecken in Schwierigkeiten: Erlöse brechen weg, Leser und Zuschauer wandern ab. Die Verlage sind nicht mehr willens und in der Lage, die hohen Gebühren für den Bezug der Nachrichtendienste zu zahlen. Im Internet werden AP-Geschichten illegal kopiert und weiterverbreitet. Die Probleme ähneln denen der Deutschen Presse-Agentur dpa, nur haben sie bei der Mutter aller Agenturen eine ganz andere Dimension.

Kampf um Marktanteile

Die Auswirkungen könnten bis nach Deutschland reichen. Verschiedene Mediendienste meldeten, AP wolle seinen 1931 gegründeten deutschsprachigen Dienst an den Deutschen Depeschen-Dienst (ddp) verkaufen. Käme es zu dem Deal, läge darin auch ein Stück Ironie der Mediengeschichte: Der Deutsche Depeschen-Dienst, heute im Eigentum der Investoren Peter Löw und Martin Vorderwülbecke, entstand 1971 aus der deutschen Tochter von UPI, einer früheren AP-Konkurrentin.

Eine ddp-Sprecherin in Berlin dementiert solche Pläne auf Anfrage. Plausibel wären sie aber allemal: Der Kampf der Agenturen um Marktanteile ist heftig und Konzentration würde allen Beteiligten Kostensenkungen erlauben. Die deutsche AP versorgt 47 Prozent der Medien. Der Verkaufserlös könnte der Mutter AP in New York bei der Sicherung der eigenen Zukunft helfen.

Associated Press selbst ist das Produkt einer Medienkrise: Die Erfindung des Telegraphen hatte im 19. Jahrhundert die Möglichkeiten des Journalismus vervielfacht, die Nachrichtenproduktion aber auch enorm verteuert. Es begann mit dem Krieg zwischen Mexiko und den USA 1846. Moses Yale Beach, Verleger der Sun, der damals größten Tageszeitung New Yorks, hatte ein aufwendiges System aufgebaut, um die Artikel der Kriegskorrespondenten in die Redaktion zu bringen: Ein Pony-Express transportierte sie von New Orleans nach Montgomery (Alabama); dort übernahmen Postkutschen die Manuskripte und brachten sie bis zum südlichsten Punkt einer neu installierten Telegraphenlinie.

Damit hatte die Sun zwar einen 24-Stunden-Vorteil vor der Konkurrenz, aber auch einen Kostenblock, der angesichts der mörderischen Konkurrenz der Zeitungen gefährlich werden konnte. Deshalb beschloss Beach, sein System mit anderen Verlegern zu teilen. Die Kooperation wurde im April 1846 vereinbart. Sie gilt als offizielles Gründungsdokument der Associated Press.

Auch heute noch ist AP als älteste Nachrichtenagentur der Welt ganz auf Medien ausgerichtet. Anders als die Konkurrenten Thomson-Reuters oder Bloomberg spielt AP als Dienstleister der Finanzmärkte keine Rolle. Deshalb trifft die Medienkrise die Agentur mit voller Wucht. Das AP-Management reagierte zunächst mit dem Nächstliegenden: Kostensenkungen. Gut zehn Prozent aller Arbeitsplätze sollen in diesem Jahr wegfallen, überwiegend dadurch, dass frei werdende Stellen nicht mehr besetzt werden.

Suche nach Dieben

Auf der AP-Hauptversammlung in San Diego kündigte der Chef des Verwaltungsrates, Dean Singleton, kürzlich noch wesentlich mehr an: eine umfassende Initiative, um Kunden zu halten und AP-Inhalte vor Internet-Piraterie zu schützen. Die Gebühren sollen im kommenden Jahr um 35 Millionen Dollar sinken. Zum Beispiel können Zeitungen, die nur einen "begrenzten Bedarf an Berichten aus der Welt und der Nation" haben - sprich: Lokalblätter - eine abgespeckte Version des Nachrichtendienstes bekommen.

Außerdem wird den Zeitungen eine verkürzte Kündigungsfrist von einem Jahr eingeräumt; wer trotzdem bei der bisherigen zweijährigen Kündigungsfrist bleibt, bekommt einen Rabatt. Zusammen mit bereits früher beschlossenen Preissenkungen werden die AP-Kunden um knapp 20 Prozent entlastet.

Gleichzeitig kündigte Singleton nicht näher spezifizierte "rechtliche und gesetzgeberische Schritte" gegen den Diebstahl von redaktionellen Inhalten an. "Wir können nicht zusehen, wie andere sich mit unserer Arbeit unter dem Vorwand fehlgeleiteter rechtlicher Theorien davonmachen", sagte er. AP werde eine Suchmaschine installieren, um gestohlene Inhalte zu identifizieren. Eine weitere Suchmaschine soll die Nutzer auf "die aktuellsten und am besten belegten Quellen aktueller Nachrichten" hinweisen.

Noch interessanter ist ein Pilotversuch, den AP am 1. Juli starten wird. Die Agentur wird ihren Kunden erstmals Artikel liefern, die von gemeinnützigen Recherche-Netzen produziert wurden. Das Experiment ist zunächst auf sechs Monate begrenzt und könnte danach ausgeweitet werden. Gemeinnützige Organisationen wie das Center for Public Integrity, der Investigative Workshop an der American University, das Center for Investigative Reporting und Pro Publica versuchen ihrerseits, auf die Medienkrise zu reagieren. Weil in vielen Redaktionen das Personal so gekürzt wurde, dass Eigenrecherchen kaum noch möglich sind, finanzieren Stiftungen und reiche Einzelpersonen investigativen Journalismus, um die Rolle der kritischen Presse in der Gesellschaft zu stärken.

Wenn deren Arbeit nun über AP mit den herkömmlichen Medien verbunden wird, sind die Folgen für die amerikanische Medienlandschaft kaum abzusehen.

© SZ vom 24.6.2009/kar - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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