Mediaplayer:Walzer in der Dunkelheit

Lesezeit: 3 min

"Es mag enden, wie es will, jedenfalls freue ich mich, Sie zu kennen, Madame": Neue DVDs mit Werken von François Truffaut, Claude Chabrol oder Thomas Vinterberg führen in diverse Unterwelten.

Von Fritz Göttler

Eine Liebe, die alles überlebt, sogar Rattengift. Mit dem müssen die Liebenden ihre Hütte bewohnbar machen in der verschneiten Chartreuse, Catherine Deneuve und Jean-Paul Belmondo, in Das Geheimnis der falschen Braut/La Sirène du Mississipi, 1969, von François Truffaut, nach einem Roman von Cornell Woolrich. Eine Liebe auf der Flucht, die tropisch beginnt auf der Insel Réunion, und über Nizza und Lyon an die Schweizer Grenze führt, durch Betrug, Lügen, vorgetäuschte Identitäten, Misstrauen, Mord, zwischen Hoffnung und Resignation, Lust und Verzweiflung. "Es mag enden, wie es will", sagt Belmondo, "jedenfalls freue ich mich, Sie zu kennen, Madame." Gewidmet ist der Film Jean Renoir, dem Patron der Nouvelle Vague. (Koch Films)

(Foto: N/A)

Ein weiterer Walzer in die Dunkelheit, acht Jahre später, Claude Chabrols Alice, inspiriert von Lewis Carroll, aber auch, deutet Chabrol an, von Shakespeare und Philip K. Dick. Ein sehr unbekannter, mysteriöser Film, Alice Caroll haut ab von ihrem Mann, der ein stupider Macho ist, aber das muss sie bitter bezahlen, mit einem bizarren Traumgemenge: Ein Landhaus, aus dessen Park es keinen Weg hinaus mehr gibt, eine Uhr, die die Zeit ignoriert, ein Mozart-Concerto, das immer wieder ins Stottern gerät, eine wirre Begräbnisfeier, eine kleine Pforte, durch die es in die Hölle geht. Sylvia Kristel ist Alice, zwischen "Emmanuelle" 2 und 3, der volle Titel des Films wird auf der DVD eher versteckt angezeigt, "Alice ou la dernière fugue". Chabrol bewegte sich immer am Rand der Nouvelle Vague, ein Bürgerschreck, aber ganz bürgerlich. Die letzte Flucht ist seinem Meister Fritz Lang gewidmet. (Cargo Records)

(Foto: N/A)

Noch eine Frau, die in die Unterwelt gerät: Christine Daaé, Sängerin an der Pariser Oper, ihre Karriere wird gemanagt vom sinistren Erik, der unter anderem eine andere Sängerin und die Operndirektoren erpresst und einen Kronleuchter ins Publikum krachen lässt. Schließlich holt er Christine in sein Reich unter der Oper, wo es einen schwarzen See gibt und alte Folterkammern und sein Schlafgemach, das den traumlosen großen Schlaf beschwört, der alles heilt für immer. Während er an der Orgel dort für sie spielt, schleicht sie sich hinterrücks an und reißt ihm die Maske vom Gesicht - das hässlich deformiert ist: Lon Chaney, als Phantom of the Opera, in der frühen Verfilmung von Rupert Julian. Den Film gibt's schwarz-weiß und in einer neuen Color-Version, die andeutet, wie Farbe damals eingesetzt wurde, ganz emotional. Lon Chaney, der auch das andere Pariser Monster verkörperte, den Glöckner von Notre Dame, zeigt das wahre Herz des Horrors - den amour fou, die Liebe der Ausgestoßenen. (Organ)

(Foto: N/A)

Russischer Horror, Quiet Comes the Dawn/Rassvet, von Pavel Sidorov. Institutionalisierter Horror, aus dem Institut für Somnologie, für Schlafmedizin, dessen Gänge bedrohlich leer sind, dessen Monitore willkürlich aufleuchten, dessen Telefone seltsame Anrufe vermitteln. Das Böse will zurück in die Welt! Ein Experiment, vier Menschen bewegen sich in einem gemeinsamen Traum, gesteuert von ihren Traumata. Einer erzählt, wie er mit seinem Kapitän in der Schleuse eines gesunkenen U-Boots eingeschlossen war, drei Tage sprachen sie miteinander, nach der Rettung erfährt er, dass der Kapitän die ganze Zeit tot war. (EuroVideo)

Die Tragödie des russischen U-Boots Kursk, das 2000 gesunken ist. Ein Film von Thomas Vinterberg, produziert von Luc Besson. Vinterberg hat richtig Lust auf großes Kino, eine Leinwand, die in die Breite geht, Meerespanoramen, Melodram, internationale Besetzung: Matthias Schoenaerts, Léa Seydoux, Colin Firth, Max von Sydow, Peter Simonischek. Die Kamera bleibt dran an den Menschen, ohne den Raum um sie zu ersticken, da klingen Vinterbergs Dogma-Anfänge an, er erforscht, wie Menschen sich bewegen, was sie bewegt. "The sailors band, the sailors band", singen die U-Bootfahrer, anfangs bei einer Hochzeit, am Ende eingeschlossen in ihrem gefluteten Boot, "here is my heart, here is my hand." (New KSM)

Ein Kuriosum, eine kleine Mörder-Scharade aus den Sechzigern, in schönster Hercule-Poirot-Manier, Die Totenliste/The List of Adrian Messenger von John Huston. Ein paar Stars tauchen unter dicht verklebten Masken auf, Tony Curtis, Robert Mitchum, Frank Sinatra, Burt Lancaster. Kirk Douglas, der vergangene Woche starb, zeigt seine ganz andere(n) Seite(n), als fieser Erbschleicher. Einmal geht er, als er bei einer Bridgepartie der Dummy ist, ins Eck des Salons, wo die bezaubernde Dana Wynter spielt, setzt sich an den zweiten Flügel daneben und schmiegt sich ihrem Spiel an. (Universal)

© SZ vom 10.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: