Mediaplayer:Aber bitte mit Senf

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Steven Soderberghs dritter Film "König der Murmelspieler": Eine Familiengeschichte aus der mythischen Zeit der Großen Depression.

Von Fritz Göttler

Nun, Käsebrote sind nie verkehrt, erklärt Aaron seinem Freund Slim. Der hat ihn angerufen, vom Roosevelt Field auf Long Island: Wir machen da ein paar Tests mit der Maschine. Es ist der 20. Mai 1927. Und es geht um das große Projekt eines Flugs über den Atlantik, von dem er Aaron erzählt hat. Es ist so weit, 34 Stunden wird der Flug dauern, doch womit soll man sich verpflegen? Nun, Käsebrote sind nie verkehrt .

.. Aber vergiss den Senf nicht. Der Freund, der da in aller Frühe anruft, ist Charles Lindbergh, und Aaron Kurlander trägt diese Geschichte seiner Klasse vor, ein amerikanischer Held war als Aufsatzthema gefordert. Aaron ist vierzehn und die Geschichte mit dem Freund Lindbergh frei erfunden. Die Lehrerin aber ist glücklich, das ist sehr imaginativ, lobt sie.

Aaron lebt mit seinem kleinen Bruder Sullivan und den Eltern im schäbigen Hotel Empire, eine eigene Wohnung kann man sich nicht leisten. Als die Lehrerin Aaron nach seiner Adresse fragt, erfindet er eine in einem wohlhabenden Viertel der Stadt. Die Lehrerin merkt wohl, dass das geschwindelt ist, aber wenn eine Legende Wirklichkeit wird, trägt man eben die falsche Adresse ins Schulregister ein.

Er muss sparen, anschreiben lassen, dem Rauswurf aus dem Hotel entgehen

"King of the Hill" ist der dritte Spielfilm von Steven Soderbergh, 1993, deutscher Titel: "König der Murmelspieler". Aaron lässt die Schusser so trügerisch flink durch den Sand blitzen wie die Ideen beim Erzählen. Es gibt nicht sehr viel andere Möglichkeiten, durch eine Jugend in den Dreißigern zu kommen. "King of the Hill" ist ein Märchen der Depressionsjahre.

Die große Depression gehört zu den Gründungsmythen des 20. Jahrhunderts: Es geht um die zweite Geburt einer Nation. Soderbergh mag den Film inzwischen nicht mehr, er hätte weniger sanft sein müssen, sagt er. Ein schwarz-weißer Albtraum war Soderberghs Film davor gewesen, "Kafka", mit Jeremy Irons, ein Misserfolg wie "King of the Hills". Man erwartete, dass Soderbergh mit seinen Filmen weiter in die spielerisch reflexiven Achtziger führt, wie er es mit seinem Erstling "Sex, Lies, and Videotape" getan hatte. Heute, in einer Zeit, da Amerikas Präsident dem Land seine Kraft zum Träumen nimmt, leuchten die Farben des Königs der Murmelspieler doppelt so hoffnungsvoll.

Die Familie zerfällt in den Jahren der Depression als Institution - durch die ökonomischen Zwänge. Sullivan muss zu einem Verwandten, die Mutter wird ins Sanatorium geschickt, dem Vater werden andere Bundesstaaten für seine Vertretertouren zugewiesen. Aaron bleibt allein zuhause, mit viel zu wenig Geld, er muss sparen, anschreiben lassen, dem drohenden Rauswurf aus dem Hotel entgehen. Ein Mädchen, das Zuneigung zu ihm zeigt, hat epileptische Anfälle. Gäste werden auf die Straße gesetzt, schneiden sich die Pulsadern auf. Aaron verbarrikadiert sich. Ohne Familie, das ist auf einmal eine Chance für Aufbruch, Freiheit, Neubeginn.

Es gibt Momente der Hoffnung. Aaron schneidet sich aus Zeitschriften Abbildungen von Gemüse aus und drapiert sie auf dem Teller. Was das Käsebrot für Lindbergh betrifft: Nach der Landung in Paris schickt Lindbergh Aaron ein Telegramm: "Take it from your good friend Chaz: the cheese I chewed was choice." Das ist die beste Botschaft des Films.

King of the Hill ist auf DVD/Bluray erschienen bei Vocomo.

© SZ vom 29.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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