Marvel:Die Zahl des Hasses

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Das "QS o5 51" auf dem Trikot des Spielers meint eine Koransure. (Foto: Marvel)

212: Eine Zahl die auch außerhalb der Welt der X-Men für Aufruhr sorgt. Warum der Chefzeichner von Marvel darum nun seinen Job verlor.

Von Arne Perras

Was bedeutet 212? Und was hat die Zahl mit den X-Men aus der Comicwelt von Marvel zu tun? Im Westen dürften die meisten Menschen mit der Zahl 212 nichts assoziieren. In Indonesien ist die 212 symbolisch aufgeladen. Sie verbindet all jene, die eine Hetzjagd gegen den christlichen Gouverneur von Jakarta betreiben. Das hat einen Streit um den jüngsten Superhelden-Comic "X-Men Gold #1" ausgelöst. Dessen Chefzeichner, der Indonesier Ardian Syaf, hat die 212 im Werk platziert. Und deshalb seinen Job verloren.

Die Zahl führt zum Kern einer vergifteten Debatte, die das Land mit einer vorwiegend muslimischen Bevölkerung seit Monaten spaltet. 212 bezeichnet den 2. Dezember 2016. An jenem Tag war es dem islamistischen Lager in Indonesien gelungen, zweihunderttausend Demonstranten hinter sich zu scharen. Sie alle richteten ihren Zorn auf einen Mann: Basuki Tjahaja Purnama, genannt Ahok, Gouverneur der Metropole Jakarta. Er gehört in doppeltem Sinne zur Minderheit: Er ist Christ und er hat chinesische Wurzeln. Ahok, der als fähiger Verwalter gilt, will die Hauptstadt weiterregieren und am Mittwoch die Stichwahl gewinnen. Doch muslimische Eiferer und Radikale fordern seinen Tod, weil er den Koran beleidigt habe. Hardliner wollen verhindern, dass ein Christ ein hohes Amt in ihrem Land bekleidet, in dem Muslime die große Mehrheit bilden.

Ardian Syaf hat die 212 in einer Szene mit der jüdischen Heldenfigur Kitty Pryde platziert, und andernorts noch weitere Zeichen, die Leser des Heftes alarmierten. Ihr Vorwurf: Der Zeichner habe antichristliche und antisemitische Botschaften eingebaut. Marvel hat darauf reagiert, Syaf ist entlassen. Außerdem drohte das Unternehmen mit disziplinarischen Schritten.

Wer die sperrige Marvel-Mitteilung dazu liest, bekommt zugleich den Eindruck, es handele sich um geheime Zeichen, die nur Eingeweihte erkennen konnten. Marvel distanziert sich von "implizierten Referenzen", sie seien "ohne Wissen um deren berichtete Bedeutung eingefügt worden". Gleichzeitig machte das Unternehmen deutlich, dass die Botschaften im Widerspruch zum Geist der Comics stünden, die "Inklusivität" verkörperten.

Das Unternehmen kündigte an, die Referenzen in künftigen Printauflagen und digital zu entfernen. Zum Beispiel QS 5:51. Superheld Colossus trägt dieses Kürzel auf der Brust. Es ist ein Hinweis auf die Koranstelle Al Maidah 5:51. Im Machtkampf von Jakarta spielt sie eine zentrale Rolle. Dort heißt es, Muslime sollten sich keine Juden oder Christen zu Freunden machen. Auch Ahok spielte einmal darauf an. Er warnte die Wähler, sie sollten nicht auf Gegner hören, die den Koran dazu benutzten, um ihm, dem Christen, Stimmen zu nehmen. Seine Gegner brachten diese Bemerkungen Ahoks, teils manipuliert, gegen den Gouverneur in Stellung. Die Justiz leitete ein Verfahren wegen Gotteslästerung ein.

So wie Marvel die Dinge darstellt, handelte es sich um versteckte Botschaften, die einfach übersehen oder nicht erkannt wurden. Damit aber wählt das Unternehmen - bewusst oder unbewusst - eine sehr enge westliche Perspektive. Als sei Indonesien eine Welt im Verborgenen. So wird ein riesiges Land zur Terra incognita. 250 Millionen Menschen. Ausgeblendet.

Erst Beschwerden in sozialen Medien durch indonesische Comic-Fans haben Marvel offenbar bewogen, sich mit den Zeichen zu beschäftigen. Für die Vertreiber einer Comic-Serie von globaler Reichweite wirkt das bedrohlich provinziell. Oder zumindest sehr nachlässig. Was sich im viertgrößten Staat der Welt abspielt, will offenbar keiner der Verantwortlichen vor Auslieferung des Comics zur Kenntnis genommen haben. Und das, obgleich Syaf Indonesier ist und schon früher Bezüge zur heimischen Politik eingebaut hatte. Einmal tauchte im Bild des heutigen Präsidenten Joko Widodo auf, was damals niemanden entrüstete. Aber mit 212 ist es anders.

Und Ardian Syaf? Wollte er die künstlerische Freiheit ausreizen? Ging es ihm vielleicht darum, das Thema "Hass" gar kritisch zu reflektieren? Oder hatte er den Plan, den Comic als Plattform für islamistische Hetze zu missbrauchen? Die Aussagen des Zeichners sind widersprüchlich: Einerseits versichert er, dass er weder antichristlich noch antisemitisch eingestellt sei, sonst hätte er nicht für Marvel gearbeitet. Andererseits hat er 212 offen gepriesen. Die Zahl stehe für Wahrheit, Liebe, Allah. Bekannt ist auch, dass er am Protestzug gegen Ahok teilnahm. Außerdem kursiert der Screenshot eines inzwischen gelöschten Facebook-Eintrags, der Syaf mit dem Anführer der Partei FPI zeigt. Das sind gewaltbereite Kräfte, die Speerspitze gegen Ahok. Vor diesen Leuten haben die Minderheiten Angst.

© SZ vom 18.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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