Malerei:Schmelzwasserfarben

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Die Kunst des Aquarells gipfelt in Wien in Stadtansichten und Landschaften. Hier der „Blick auf Wien von der Spinnerin am Kreuz“, den Jakob Alt malte. (Foto: Albertina, Wien)

Die Ausstellung in Wien zeigt, auf welch hohem Niveau im 19. Jahrhundert Landschaften und Städte porträtiert wurden. Am spannendsten sind die Werke vom Großmeister.

Von Gottfried Knapp

Wer derzeit von Reisen in die Wärme träumt, der sollte schleunigst nach Wien fahren und sich in der Albertina die Ausstellung "Das Wiener Aquarell" anschauen. Die Landschaften dort präsentieren sich in einem paradiesischen Zustand: Alpentäler sind von warmer Sonne erfüllt, aber noch von mächtigen Gletschern überwölbt. In den makellos erhaltenen alten Städten aber können sich die Menschen noch beneidenswert frei bewegen. Wer diese Ausstellung besucht, taucht tief ins 19. Jahrhundert ein, in eine Zeit, in der die Kunst der Aquarells in Wien eine wahre Blütezeit erlebt hat. Die bedeutendsten Werke sind damals in den Gattungen Landschaft, Stadtansicht und Interieur geschaffen worden.

Einer der Gründe für die fast abrupte Entdeckung der Schönheiten in den Landschaften und Städten Österreich-Ungarns war das plötzlich erwachte ästhetische Interesse der höfischen Auftraggeber an den ererbten Ländereien. So hat Kaiser Ferdinand I. im Jahr 1835 bei den besten Künstlern des Fachs großformatige Aquarellbilder der schönsten Gegenden und wichtigsten Plätze des Habsburgerreichs in Auftrag gegeben. Rund 300 dieser einheitlich großen, in einem Guckkasten vorführbaren Landschafts- und Ortsansichten haben sich erhalten. Die besten davon, vor allem die Blätter von Jakob Alt und seinem Sohn Rudolf von Alt, übertreffen an naturalistischer Detailschärfe und atmosphärischer Dichte alles, was vorher auf diesem Gebiet versucht worden ist. Schon zwei Jahrzehnte zuvor hatte ein anderer Habsburger, Erzherzog Johann, begonnen, die ihm zugefallene Steiermark und die benachbarten Alpenregionen von Künstlern topografisch, kulturhistorisch und landeskundlich erfassen zu lassen. Die 1827 von Matthäus Loder gemalte Ansicht der "Wasserfälle im Tischlerkar bei Gastein" dürfte für Alpinisten und Kunsthistoriker gleichermaßen interessant sein: Der Betrachter kommt in den Genuss einer Alpenlandschaft, wie sie vor rund 200 Jahren ausgesehen hat. Die oberen Flanken des Tischlerkars waren damals noch von einem Gletscher bedeckt. Im Sommer stürzten die Schmelzwasser höchst malerisch an mehreren Stellen über die Felswand in den Talkessel. Heute ist der Gletscher auf einen Rest zusammengeschmolzen, die Rinnen im Fels sind alle ausgetrocknet.

Die aufregendsten Entdeckungen macht man aber beim Großmeister des Wiener Aquarells, bei Rudolf von Alt (1812 - 1905). Schon sein Vater Jakob hat in seinem berühmt gewordenen "Blick aus dem Atelier" 1836 Maßstäbe für illusionistische Tiefenschärfe und haptische Präsenz gesetzt. Rudolf übertrifft ihn in seinen "Stubenbildern" noch einmal deutlich. Das durch Fenster und Vorhänge auf Möbel scheinende Licht bekommt bei ihm eine fast körperlich Präsenz. Auch auf dem Gebiet der Stadtansichten, auf dem Rudolf wahre Wunder der Vergegenwärtigung gelungen sind, hat der Sohn vieles vom Vater lernen können, wie der von Jakob 1817 gemalte, atmosphärisch duftige "Blick auf Wien von der Spinnerin am Kreuz" eindrucksvoll zeigt.

Albertina Wien bis 13. Mai. Katalog 29,90 Euro.

© SZ vom 09.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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