Louise Glück ausgezeichnet:Sprich mit mir

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Die amerikanische Lyrikerin Louise Glück und die Nobel-Medaille in ihrem Garten in Cambridge, Massachusetts. (Foto: Daniel Ebersole/dpa)

Die literarische Szene der Woche: Louise Glück nimmt den Literaturnobelpreis entgegen. Die geisterhafte Zeremonie scheint ihr entgegenzukommen.

Von Marie Schmidt

Von einem "Temperament, das dem öffentlichen Leben misstraut" spricht Louise Glück in ihrer Nobelpreis-Vorlesung. Wobei sie eigentlich nicht spricht, denn ihre Vorlesung hat sie nie gehalten, der Text tauchte irgendwann auf der Website des Nobelpreiskomitees auf, geisterhafte Worte ohne Stimme. Im Lichte ihrer stummen Rede wirkt dieses Corona-Jahr fast wie eine Wunscherfüllung der amerikanischen Dichterin: Öffentliches Leben gibt es ja im Augenblick kaum noch.

Die jährlich prunkvolle Verleihung der Nobelpreise zum Beispiel, in Anwesenheit der schwedischen Königsfamilie, die Frack-Pflicht im Stockholmer Konzerthaus, die Parade der Forscher und Dichter aus aller Welt - die Pandemie hat all das geschluckt. Noch eine Wunscherfüllung für Louise Glück: "Wir, die wir Bücher schreiben, wollen damit vermutlich viele Menschen erreichen. Aber manche Dichter verstehen das Erreichen nicht im räumlicher Sinn, als ein volles Auditorium." Nun waren die Zuschauerräume hörbar leer, als diese Woche die Nobelpreise in einer Videogala überreicht wurden.

Leises Katastrophenpathos durchströmte die Zeremonie

Die Stimmen der Redner hallten im Goldenen Saal des Stockholmer Rathauses ohne Publikum, ihre Augen irrlichterten, als sie in die unbeteiligte Kamera hinein abwesende Majestäten, Damen und Herren begrüßten. Leises Katastrophenpathos durchströmte die Zeremonie. Zwischendrin sah man Filmaufnahmen davon, wie in schwedischen Botschaften und Gärten in aller Welt die Geehrten desinfizierte Urkunden und Medaillen von kleinen Tischen nahmen. Louise Glück stand maskiert in Cambridge im Schnee von Neuengland.

Manche Dichter, heißt es in ihrer Vorlesung weiter, erreichten ihre vielen Leser über einen langen Zeitraum, einen nach dem anderen. Die wichtigsten ihres Lebens seien die Gedichte, "zu denen der Zuhörer oder Leser etwas Entscheidendes beiträgt, indem er etwas Vertrauliches aufnimmt oder einen Aufschrei, und manchmal ein Verschworener ist".

Da geht es um das Kindergefühl, persönlich von einem Gedicht gemeint zu sein. Als Fünf- oder Sechsjährige habe sie, erzählt Louise Glück, im Spiel den Preis für das beste Gedicht der Welt an William Blake verliehen: "Ich verstand, dass er tot war, hatte aber das Gefühl, er sei lebendig, weil ich seine Stimme zu mir sprechen hören konnte, verstellt, aber seine Stimme. Ich hatte das Gefühl, er spreche nur oder besonders mit mir." Auf Du und Du mit den großen und kleinen Geistern geht es der Dichterin gut, inmitten der Aufmerksamkeit der literarischen Welt eher nicht: "Das Licht war zu hell. Das Ausmaß zu groß." Nun hat sie es ja überstanden.

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