London:Staub zu Kunst

Im britischen Parlament bewahrt ein Künstler Dreck mit Geschichte auf. Das Kunstprojekt soll eine andere Möglichkeit der historischen Aufzeichnung ausprobieren.

Man liebt edles Altern, Patina, sogar Rost, weil das den Dingen eine Persönlichkeit gibt. Nur der Staub wird immer noch zu wenig geschätzt. Gedankenlos wischt man ihn weg, saugt ihn auf - und hustet ihm dann verächtlich hinterher. Völlig zu Unrecht, findet Jorge Otero-Pailos. An keinem geringeren Ort als den Londoner Houses of Parliament will er den Staub nun rehabilitieren, indem er ihn mit einem Kunstwerk zum Sprechen bringt.

Das ist nur metaphorisch gemeint. Wer hier tatsächlich spricht, ist der Künstler selbst. Über eben jenes Werk "Ethics of Dust" nämlich, an dem er seit sechs Jahren arbeitet und das nun realisiert wird, nach "vielen dunklen Tagen, an denen wir dachten: das ist unmöglich". Er hat dazu eine 1832 zum letzten Mal abgestaubte Mauer mit Latex bestrichen. Drei Tage später schälte er ein 50 Meter langes Latex-Tuch von der Wand: die "Haut der Geschichte". Ab 29. Juni soll es vor der sauberen Wand aufgehängt werden. "Es ist die Erinnerung der Welt, in der wir leben", erläutert er im Guardian. "Es ist sehr wichtig, sie zu bewahren." Im Schmutz, der jetzt im Latex eingeschlossen ist, vermutet er selbst Rußpartikel aus der Industriellen Revolution, Staub aus den Bombennächten des Kriegs. "Staub ist nicht Chaos. Es ist ein sehr spezielles Material, das Geschichte auf eine ganz andere Weise aufzeichnet als ein literarischer Text. Und es ist eine menschliche Schöpfung. Es ist unser Produkt."

© SZ vom 19.05.2016 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: