Logbuch: Sven Regener:Jetzt mal konkret

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Es kann nicht schaden, bei Blogbüchern das B wegzulassen: Sven Regeners Logbücher "Meine Jahre mit Hamburg-Heiner" sind eine leichte Komödie über deutsche Kreative und deutsche Nörgler.

Till Briegleb

Typen wie Hamburg-Heiner gibt es wirklich, nicht nur in Hamburg: Herzliche Nervensägen, die ihre umfassende Bildung nirgends anbringen können, außer beim Verbessern ihrer Freunde. Sie wissen, wie der dritte Bassist von Uriah Heep hieß, dass Rind und Wal Verwandte sind, wie schnell sich ein Elektron dreht und was einst in Königgrätz geschah.

Für Spiegel, taz oder den österreichischen Standard, aber auch für die bandeigene Website hat der Sänger von Element of Crime Tourblogs über Konzert- oder Interviewreisen geschrieben oder Essen, Trinken und andere Erschöpfungen auf der Frankfurter Buchmesse protokolliert. (Foto: dpa)

Ihr Stil ist die mies gelaunte Fresse des Rechthabers, die sich nur dann entspannt, wenn sie im alten Männerstreit um mehr und bessere Informationen auf jemand trifft, der noch mehr weiß - oder handzahme Opfer findet, die sich gerne belehren lassen. Erstaunlicherweise hat die schnelle Überprüfbarkeit durch Wikipedia diesem Besserwisser so wenig den Garaus gemacht wie einst die Fotografie der Malerei. Vielmehr bedienen sich die Hamburg-Heiners dieser Welt jetzt süchtig der Netzrecherche, um noch frecher zu intervenieren.

Hamburg-Heiner selbst aber gibt es vermutlich gar nicht. Er ist eine Erfindung von Sven Regener, um seinem Dasein als Blogger einen Widerspruchsgeist zum Wohle der Pointe zu erschaffen. Denn seit 2005 verfolgt der Sänger von Element of Crime und Autor von Herr Lehmann und anderen Bestsellern eine Drittkarriere als öffentlicher Privatmensch. Für Spiegel, taz oder den österreichischen Standard, aber auch für die bandeigene Website hat Regener Tourblogs über Konzert- oder Interviewreisen geschrieben oder Essen, Trinken und andere Erschöpfungen auf der Frankfurter Buchmesse protokolliert.

Und dass diese "Logbücher" jetzt unter dem Titel Meine Jahre mit Hamburg-Heiner gesammelt im alten Papier-Medium erscheinen, macht deswegen Sinn, weil der Profi-Nörgler HH als Figur alle Blogs über fünf Jahre begleitet hat - und in dieser Form des modernen Tagebuch-Romans als eine Art Hans Moser des Internetzeitalters erscheint.

In langen Telefongesprächen voll warmer Beschimpfungen erklärt HH dem Autor seine dämlichen Fehler aus dem jeweils letzten Blog, das Wesen der Blogkultur generell und was der eilige Leser am Bildschirm von Regener eigentlich wissen möchte - und was nicht. Dann gibt sich Regener wieder viel Mühe, richtig, witzig und kundig zu bloggen, um daraufhin sehnsüchtig auf die neuen Ohrfeigen aus dem Handy zu warten.

Diese SM-Beziehung des Netzhumors ist so clever und abwechslungsreich komponiert, dass trotz des renitenten Grundmusters der Charakter einer alten Jungs-Freundschaft in schillernder Satire entwickelt werden kann. Nach vierhundert locker betexteten Seiten muss dann jedes Kumpelwerk ohne solch einen vitalen Klugscheißer leer und grau erscheinen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Regener sein Leben als Erfolgskünstler mit selbstironischer Prominenz-Blasphemie darstellt.

Im Gegensatz zum belebenden Gemecker seiner Kunstfigur versucht Regener sein eigenes Leben als Erfolgskünstler mit aller angebrachten Ironie in den zurückhaltendsten Farben darzustellen. Ob der Mix einer Platte in Nashville, der Touralltag zwischen Wien und Berlin oder die Termin-Safari auf der Buchmesse in Begleitung eines arte-Fernsehteams, von Glamour oder irgendwelchen beneidenswerten Vorkommnissen keine Spur.

Weder sonnt sich Regener im Lob von Fans und Profis, noch lässt er sich dazu hinreißen, Konzerte in Sporthallen oder Star-Spotting auf Marketing-Festen zu beschreiben. Die ewige Forderung Hamburg-Heiners, doch mal konkret zu werden, dient Regener nur zum prompten Rückschlag mit selbstironischer Prominenz-Blasphemie.

Statt Einsichten ins Dasein als bekannter Mann zu liefern, fotografiert Regener lieber den sterilen Obstteller im Hotel, summiert die sympathische Party der Kleinverlage auf der Buchmesse in vier Sätzen oder beschreibt die Konkurrenz der Grünkohl-Metropolen Bremen und Oldenburg. Doch wer schon bei Herr Lehmann (und folgende) überrascht war, wie der Kopf einer derartig gemütlichen Herrenband wie Element of Crime eine derartig kurzweilige und komische Prosa erfinden kann, dem gönnen diese Logbücher ein weiteres Aha-Erlebnis.

Regener zieht nimmermüde aus banalsten Anfängen absurdeste Schlüsse, wehrt die offenbare Langeweile einer alten Musiker-Vielehe mit der Lakonie des falschen Trübsinns ab, und schafft es tatsächlich, über die längste Strecke dieser Kurzeinträge einen kultivierten Spott mit dem Selbstbild seiner Branchen zu betreiben. Gemütlichkeit ist hier nur der Hohn des Bescheidenen für die Aufblaswichtel des Marketings. Natürlich ist diese Addition moderner Revolver-Literatur nicht frei von Stilblüten, Jargon und Wiederholungen. Kleine Peinlichkeiten sind die Tippfehler des schnellen Denkens und sollten in einer Zweitverwertung aus Gründen der Pseudoauthentizität nicht entfernt werden.

Und auch andere objektive Mängel dieser sardonischen Buchführung in Bezug auf die Neugier des gemeinen Lesers können nicht ungemeldet bleiben: so erfährt man absolut nichts Relevantes über die persönlichen Beziehungen des Autors zu seinen Begleitern in Musik, Literatur und Privatleben, und die durchgängig freundliche Ironie macht eine Einschätzung von Gut und Böse im Unterhaltungsbusiness auch bald unmöglich.

Da Regener nicht den Eindruck macht, nach 25 Jahren Glück im Kulturbetrieb jetzt kommerziellen Selbstmord begehen zu wollen, ist eine schonungslose Branchen-Satire von ihm auch nicht zu erwarten. Aber als leichte Komödie über deutsche Kreative und deutsche Nörgler ist dieser Schelmenroman im Kleid eines Tourtagebuchs eine sehr kurzweilige Zuglektüre.

SVEN REGENER: Meine Jahre mit Hamburg-Heiner. Logbücher. Galiani Verlag, Berlin 2011. 420 Seiten, 19,95 Euro.

© SZ vom 16.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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