Little Britain:Was Menschen so tun

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Fensteransicht in Notting Hill. (Foto: Getty Images)

Milch trinken, die Kinder ärgern, im Internet herumlungern, ein Butternusskürbis-Curry langsam einköcheln lassen. In den Kellerlöchern, die Londoner Makler so herzeigen, spürt man körperlich, was die Menschen im Haus darüber gerade tun.

Von Christian Zaschke, London

Seit gut einer Woche halten mich die Londoner Makler für irre. Sie hatten mir freundlich lächelnd Hunderte lower ground floor flats gezeigt, Kellerwohnungen, die sie als "clever ausgebaut", "charmant" oder "charaktervoll" priesen. In Wahrheit handelt es sich um dunkle Löcher, in denen man körperlich spürt, dass obendrüber noch ein komplettes Haus steht, in dem die Menschen gerade tun, was Menschen nun mal tun.

Milch trinken, fernsehgucken, die Kinder ärgern, Radio 4 hören, bumsen, die hässliche Wanduhr reparieren, im Internet herumlungern, ein Butternusskürbis-Curry langsam einköcheln lassen, schon mal das Geld für die Putzfrau rauslegen, obwohl die erst übermorgen kommt, dabei darüber nachdenken, was die Welt im Innersten . . . - "Was machst du da, Schatz?" - "Nichts." - "Legst du schon wieder das Geld für die Putzfrau raus?" - "Dann ist's gemacht." - "Die Putzfrau kommt diese Woche nicht. Das habe ich dir schon zweimal gesagt."

All das könnte man auch im Keller tun, aber es wäre nicht das Gleiche. Es fehlte der Glanz, der sich in den oberen Stockwerken auf die Dinge legt und der das Leben alles in allem ziemlich erträglich macht. Meine These: Wer im Keller übers Geldrauslegen für die Putzfrau diskutiert, wird bald verstummen, sich dem Alkohol hingeben und früh sterben, verbittert. Wer im Dachgeschoss das Geld zu früh rauslegt, trinkt genügend Milch, hat starke Knochen, zauberhaften Sex und wird alt, sehr alt.

Schwer zu sagen, ob da was dran ist. Dennoch bewohne ich sicherheitshalber ein zugiges Dachgeschoss-Schmuckstück im Londoner Norden, an dem nichts auszusetzen ist, außer dass es zugig ist, diesen Tick zu teuer und eine Winzigkeit zu klein. Zudem verfügt es über einen unentfernbaren Vogelscheißfleck am Schlafzimmerfenster. Wobei Letzteres nicht zwingend gegen die Wohnung spricht, da ich mir einbilde, den Fleck liebgewonnen zu haben.

Ich würde wirklich gerne umziehen, ich habe Hunderte Kellerbuden angeschaut. Jeden Tag kommen neue lower ground floor flats auf den Markt, die ich pflichtschuldig besichtige, und wann immer ich den Maklern sage, dass ich aus überlebenswichtigen Gründen nicht unter der Erde wohnen will, lächeln sie: "Gibt halt nix anderes. Nimm es oder lass es."

Und dann war sie da, vor gut einer Woche: die nahezu perfekte Dachgeschoss-Wohnung mit den dichten, vogelscheißfleckfreien Fenstern. Schwer zu erklären, was es war. Ich hatte ein Butternusskürbis-Curry angesetzt, ein paar Gläser Milch getrunken und schon mal das Geld für die Putzfrau rausgelegt. Dann habe ich den Maklern lächelnd abgesagt.

© SZ vom 30.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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