Little Britain:Tag der Rückzahlung

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Eigentlich sollte niemand Geschichten erzählen, in denen er selbst zu gut wegkommt. Eigentlich. Ein Heldenintermezzo aus der britischen Hauptstadt - mit einem knienden Anzugträger, einem widerspenstigen Gullydeckel und mehreren verlorenen Handys.

Christian Zaschke

An der U-Bahn-Station Charing Cross hatte ich ausnahmsweise den richtigen Ausgang erwischt. Charing Cross hat verwirrend viele Ausgänge, je nachdem welchen man nimmt, steht man auf dem Trafalgar Square, an der Themse oder an seltsamen Orten, die in keiner Karte verzeichnet sind. Oder man landet aus Versehen, wo man will, in diesem Fall auf der Straße "The Strand", die sich durch eine ausgewogene Mischung von Kettenkaffeeläden, Theatern, Klamottenshops und zu teuren Hotels auszeichnet.

Ein Fahrradfahrer rauschte vorbei, aus dem Augenwinkel sah ich, dass ihm etwas aus der Jackentasche direkt in einen Gully fiel. Was dann passierte, fällt in die von meinem Kumpel Lehmann so benannte Kategorie der "Ich-König-Geschichte": Weil man zu gut darin wegkommt, darf man sie eigentlich nicht erzählen. Lehmanns Regel lautet: außer manchmal.

Vor einigen Jahren erhielt ich einen Anruf vom Handy meiner Frau. Es war ein Typ dran, der mich auf Französisch vollquatschte. "Sehr witzig", sagte ich, "gib mal meine Frau ran." Der Typ erklärte mir, er kenne meine Frau nicht. "Unfassbar komisch", sagte ich gelangweilt. Der Typ sagte, er habe das Handy gefunden, meine Frau könne ihn ja anrufen, ihm sei's wurscht. Es dämmerte mir, dass das kein Witz war. "Okay", sagte ich besorgt, "vielen Dank". Der Typ erwies sich als sehr netter Belgier, der das Handy zurückgab, ohne damit vorher seine sämtlichen Freunde in Übersee angerufen zu haben.

Ich spazierte die fünf Schritte zum Gully und spähte unauffällig hinein. Da lag tatsächlich ein Handy. Nicht im Mindesten bin ich esoterisch veranlagt, aber mir war klar, dass dies der Tag der Rückzahlung war. Zum grauen Anzug trug ich ein lilafarbenes (kein Witz) Hemd, weil ich einen Termin hatte. Derart gewandet kniete ich mich auf die Straße und fummelte zwischen den Streben des Kanaldeckels herum. Drei Minuten lang. Dann hatte ich das matschbedeckte Handy herausgefischt und einen drei Zentimeter langen Riss auf der Hand. Die Passanten schauten mich an wie einen gefährlichen Irren. Ich ging ins nächstgelegene zu teure Hotel, schmuggelte mich aufs Klo, wusch Hände und Handy und improvisierte mit einem kleinen Handtuch einen Verband.

Während meines Termins klingelte das Gully-Handy. "Hallo", sagte ich. "Gary!", rief eine Stimme. Ich erklärte, dass ich nicht Gary sei, was mit den Worten "sehr witzig" quittiert wurde. Eine Stunde später folgte die Übergabe. Als sehr netter Deutscher händigte ich das Telefon aus, ohne damit vorher meine sämtlichen Freunde in Übersee angerufen zu haben, was nicht nur daran lag, dass es mir nicht gelungen war, die Tastensperre aufzuheben.

© SZ vom 28.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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