Literaturgeschichte:Den Wind benutzen

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Am Fall Friedrich Schillers untersuchte eine Tagung am Deutschen Literaturarchiv in Marbach das heikle Verhältnis der Deutschen zur Rhetorik.

Von Johan Schloemann

Ist das ein Vorwurf, wenn man sagt, ein Autor habe "rhetorische" Fähigkeiten? Friedrich Schiller, der für einen hohen Ton in der deutschen Literatur einiges an Verantwortung trägt, aber auch einer ihrer schwungvollsten, rasantesten, gewinnendsten Autoren ist, der mit bewegter Rede und notorisch prägnanten Sentenzen prunkt, und der an dieser Stelle schon wieder mal im Präsens aufgetaucht ist, weil er trotz aller Verschulung und Verdenkmalung einfach nicht totzukriegen ist - dieser Schiller schrieb in einem Brief an Goethe von "einer gewissen Furcht, in meine ehemalige rhetorische Manier zu fallen". Schiller arbeitete gerade an seiner Wallenstein-Trilogie und erklärte in demselben Brief vom 2. Oktober 1797, er wolle beim Schreiben seiner Dramenverse möglichst "beide Abwege" vermeiden: "das Prosaische und das Rhetorische".

In der Zeit zwischen der Französischen Revolution und den Napoleonischen Kriegen gärte es auch in Deutschland geistig und politisch. Aber bis auf ein sehr kurzes, krachend gescheitertes revolutionäres Experiment im französisch besetzten Mainz fehlte den Deutschen in ihren feudalen Kleinstaaten jedes republikanische Forum öffentlicher Rede. Sie hatten weder ein altehrwürdiges noch ein revolutionäres Parlament, keine Volksversammlung und keine Volksgerichte mit Geschworenenbank. Also blickten sie neidisch auf das Paris, London und Washington der Gegenwart oder historisch auf Athen und Rom.

Was dieses verspätete und zwiespältige Verhältnis zur Rhetorik ausmacht, zwischen Fragen des Stils und der Politik, das hat jetzt am Fall Friedrich Schiller eine wissenschaftliche Konferenz in Marbach am Neckar untersucht. Das Deutsche Literaturarchiv dort ist aus der Schiller-Verehrung entstanden, und im Museum kann man sich in den Originalhandschriften von Briefen Schillers die damals modische Verwendung von Gedankenstrichen ansehen, als Ausdruckszeichen einer leidenschaftlichen Brief-Rhetorik. Schillerforschung ist also Kerngeschäft in Marbach, der Geburtsstadt des Dichters, und diese Tagung, in die auch die neue Direktorin Sandra Richter kurz hineinhörte, ließ erkennen, wie vital und gegenwärtig dieses Kerngeschäft sein kann.

Wo konnte man sich hierzulande mit seiner Beredsamkeit austoben, wenn es kaum Gelegenheiten für "echte" politische Rhetorik gab? In den Predigten in der Kirche, in der Poesie, in privater Geselligkeit und auf der Theaterbühne. Auf die letztere brachte Schiller die großen Redekämpfe seiner Dramen, beginnend mit den "Räubern" 1782 in Mannheim. Die Wirkung von Don Karlos bis Maria Stuart war so stark, dass Adam Müller, ein seltsamer romantischer Reaktionär, in seinen "Zwölf Reden über die Beredsamkeit und deren Verfall in Deutschland" Schiller zum "größten Redner der deutschen Nation" erklärte, "der die dichterische Form nur wählte, weil er gehört werden wollte". Das war sieben Jahre nach Schillers Tod, 1812. Da begann er schon zum bürgerlichen Nationalhelden des 19. Jahrhunderts zu werden, dessen Balladen man zur moralischen Erbauung rauf- und runterrezitierte.

Dass die Poesie ihm ausschließlich ein Vehikel sei, hätte Schiller selbst vehement zurückgewiesen. Er strebte eine neue Verbindung von Gedanken und schöner Form an, und er wollte damit tatsächlich die Welt verbessern, so pessimistisch er auch die Zwänge der Politik in drinrn Dramen darstellte. Aber die Verwendung suggestiver und herausgeputzter Sprache war ihm bewusst und geläufig, er kannte die rhetorische Tradition gut. Als 15-jähriger Schüler der Stuttgarter Karlsschule wurde Schiller beauftragt, zum Namenstag der Mätresse seines Landesherrn eine Huldigungsrede zu verfertigen. Darin finden sich Sätze, die nicht jeder heutige 15-Jährige in seine Kommunikationsmedien hineintippen würde: "Wenn je etwas ist, das ein jugendliches Herz mit Liebe zur Tugend erwärmen kann, so ist es gewiss die Aussicht in ihre erhabene Folgen. (...) Denn wonach ringt die Seele eine Jünglings - als nach diesem einigen Ziele?"

Andererseits äußerte sich Schiller auch immer wieder kritisch, im Anschluss an eine einflussreiche Stelle bei Immanuel Kant, zur manipulativen Kraft politischer Rede. Daniele Vecchiato, derzeit Fellow am King's College London, stellte in seinem Marbacher Vortrag in Schillers "Fiesko" die populistische Schlüsselszene heraus: Als der Titelheld des Dramas sich, von der aufgebrachten Volksmasse befeuert, vom Freiheitshelden in einen Despoten verwandelt, sagt er: "Ich muss diesen Wind benutzen (...). Ich muss diesen Hass verstärken! dieses Interesse anfrischen!" Später hingegen, im "Wallenstein", werde die rhetorische Verstellung eher zu einem Zeichen von Schwäche inmitten einer intriganten Politik, die den mächtigen Handelnden selber undurchsichtig wird. Der Tübinger Rhetorikforscher Olaf Kramer fasste es so zusammen, dass Schiller Nein zur strategischen Verstellung, aber Ja zur Rhetorik als ethischem Bildungsprogramm sagte, wie es die antiken Vorbilder formuliert hatten.

Mit der Frage, wie einnehmend man formulieren soll und darf, hat Schiller auch in seinen theoretischen ästhetischen Schriften ständig gerungen und in Briefen mit dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte darüber gestritten, der später, ebenfalls nach Schillers Tod, seine "Reden an die deutsche Nation" halten sollte. Die Germanistin Alice Stašková, die in Jena lehrt, wo Schiller Professor war, zeigte, dass er in den "Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen" eigentlich nicht populär schreiben wollte, aber dann doch so viel performative Dynamik hineinlegte, dass die Abstrakta zu Personen werden und die Metaphern nur so klingeln. Als einen Ausweg wählte Schiller dann eine Zeitlang das philosophische Gedicht.

Über all dies gab es in Marbach gelehrte Diskussionen - und zwischendurch auch mal Klangbeispiele aus den 50 verschiedenen Tonaufnahmen der "Bürgschaft", die dort im Archiv verwahrt werden. Als Klassiker in Weimar postulierte Schiller "Reinheit und Fülle" als Sprachideal. Das alles andere als unbefangene Verhältnis zur Rhetorik sollte den Deutschen dann erhalten bleiben - mit immer wieder heftigen Ausschlägen ins Poetische wie ins Prosaische.

© SZ vom 27.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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