Literatur:Zwischen Chaplin und Kant

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Der Schriftsteller und Philosoph Salomo Friedlaender wurde bis in die Dreißigerjahre viel gelesen, dann geriet er in Vergessenheit. Nun wird sein Werk vollständig herausgebracht.

Von Jörg Häntzschel

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(Foto: Waitawhile, Kubin-Archiv Städtische Galerie im Lenbachhaus)

Friedlaenders Notizen in Kants "Opus postumum".

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(Foto: Waitawhile, Kubin-Archiv Städtische Galerie im Lenbachhaus)

Postkarte mit Porträt Friedlaenders an Alfred Kubin.

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(Foto: Waitawhile, Kubin-Archiv Städtische Galerie im Lenbachhaus)

Postkarte mit Porträt Friedlaenders an Alfred Kubin.

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(Foto: Waitawhile, Kubin-Archiv Städtische Galerie im Lenbachhaus)

Brief von Rebecca Hanf an seine Pariser Adresse.

Sigrid Hauff und Hartmut Geerken sind eigentlich Orientalisten. Sie arbeiteten jahrelang beim Goethe-Institut, erst in Kairo, dann in Kabul und Athen. Sie sind außerdem Jazzfans. Geerken, 80, hat in ihrem Haus am Ammersee die weltweit größte Sammlung mit Schallplatten des Jazz-Exzentrikers Sun Ra zusammengetragen. Noch größer ist die Leidenschaft der beiden aber für einen anderen Exzentriker: den Philosophen und Schriftsteller Salomo Friedlaender (1871-1946), der sich auch Mynona nannte - anonym rückwärts gelesen. Seit Mitte der Sechziger verfolgen die beiden alle Spuren seiner Existenz.

Bevor Friedlaender, der jüdisch war, 1933 aus Berlin nach Paris emigrierte, gehörte er zu den bekanntesten deutschen Literaten. Er war Kulturkritiker und Satiriker, er war Dadaist bevor Dada erfunden war, und wurde von Hannah Höch und Raoul Hausmann hoch geschätzt. Er selbst beschrieb sich als Synthese aus Charlie Chaplin und Immanuel Kant. Mit letzterem beschäftigte er sich Zeit seines Lebens.

Geerken entdeckte Friedlaenders nach dem Krieg kaum mehr gelesene Bücher schon als Schüler. Gemeinsam mit Hauff machte er sich daran, das Werk vor dem Vergessen zu bewahren. Nach einiger Detektivarbeit spürten die beiden Studenten 1966 die Tochter von Friedlaenders Nachlassverwalter an der Riviera auf. Die Frau, die als Putzfrau in einem Krankenhaus in Avignon arbeitete, gab ihnen ein Konvolut von Manuskripten, Büchern und Korrespondenz mit, das die beiden in ihren VW luden. Sie half ihnen auch, Friedlaenders Witwe und Sohn in Paris zu kontaktieren, die ihnen den zweiten großen Teil des Nachlasses überließen. Heute ist Geerken Friedlaenders Rechteinhaber. Bevor Hauff und Geerken die Papiere ans Literaturarchiv in Marbach gaben, kopierten sie das gesamte Werk, das sie nun mit Detlef Thiel in ihrem Selbstverlag Waitawhile als Book on Demand veröffentlichen. Band 26 von 38 ist gerade in Arbeit. Eine Lebensaufgabe.

Was sie dabei antreibt außer ihrer Entdeckerfreude? "Mynona war ein Verteidiger des Friedens auf der soliden Basis von Kants Schriften. Was wäre heute aktueller?", sagt Geerken. Die Japaner, die Mynona mit mehr Interesse lesen als die Deutschen, haben das verstanden. Für beide ist Friedlaender aber auch eine Art Lebensphilosoph. "Die kopernikanische Revolution hat sich beim Menschen noch nicht herumgesprochen", erklärt Hauff Mynonas Theorie vom Ich-Heliozentrum. "Der Mensch ist die Sonne. Alles übrige kreist um ihn. Die Probleme, die Sorgen, die kannst du rotieren lassen."

© SZ vom 10.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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