Literatur:Winnetou-Deuter

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(Foto: Verlag)

Von Harald Eggebrecht

"Die Lügen dieses Dichters fallen auf eine Weise exzessiv aus, dass sie mit gängigen Kategorien kaum zu erfassen sind", staunt der Bonner Literaturwissenschaftler Helmut Schmiedt über das Objekt seiner Forscherneugier: Karl May. Genau genommen geht es in dieser höchst vergnüglich und anregend zu lesenden essayistischen Untersuchung um jene literarische Gestalt, die heute wohl sogar berühmter ist als ihr Schöpfer: Winnetou, den edlen Häuptling der Apachen und Blutsbruder des aus Sachsen stammenden sogenannten Westmanns Old Shatterhand alias Karl May. Die drei Bände, in denen May von den Abenteuern des Apachen und seines Freundes erzählt, analysiert Schmiedt nach allen Regeln seiner Wissenschaft, doch ohne Bierernst und Fachidiotentum. Vielmehr ist ihm ein Wurf, ein Vademecum gelungen nach dem Prinzip: Alles, was Sie immer über Winnetou wissen wollten. Auch über seinen Autor. Dass Schmiedts "Die Winnetou-Trilogie" in der legendären grünen Reihe des Bamberger Karl-May-Verlags erschienen ist, also so aussieht wie die dortige Edition der Romane des sächsischen Fantasten, hat für einen Karl-May-Forscher gewiss etwas Besonderes, allerdings mit einem schönen Schuss Ironie.

Schmiedts Weg führt von der "Entstehung und Struktur" der Trilogie über das bei Karl May so heikle wie fantasietechnisch ungemein fruchtbare Verhältnis "Realität und Fiktion". Er beleuchtet Mays Erzähltechniken ebenso wie die Darstellung von Männern und Frauen in diesem aus zahllosen Lesefrüchten unverwechselbar sonderbar konstruierten Wilden Westen. Schmiedt widmet sich Mays oft kuriosen und keineswegs heldischen "Westmännern" von Sam Hawkens bis zu Old Death. Immer zeigt sich, wie viel Spannungsenergie in diesen so widersprüchlichen drei Bänden um den Apachenhäuptling weiterhin steckt. Auf den letzten Seiten dieses so unterhaltsamen wie erhellenden, Karl May und seinen Winnetou souverän erschließenden Buches betont Schmiedt anhand der Verfilmungen der Sechzigerjahre und der TV-Filme von 2017 und anderer sehr eigenwilliger literarischer Weiter- und Umdichtungen des Stoffs, dass die Winnetou-Trilogie "eine Ausstrahlungskraft erkennen" lässt, "die sich offenbar über Jahrzehnte hinweg und auch heute noch nicht erschöpft hat".

© SZ vom 03.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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