Literatur:Verrat' es keinem

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Eugen Ruge liest im Literaturhaus aus seinem Roman "Metropol", der die Zeit stalinistischen Terrors in Moskau beschreibt

Von David Renke

Können Schuhsohlen konterrevolutionär sein? Ihre Winterschuhe sind zwar von einem privaten Schumacher geflickt, nicht von der staatlichen Kooperative. Das macht Charlotte aber doch nicht zur Verräterin an der Revolution, oder?

Im Roman "Metropol" (Rowohlt) von Eugen Ruge herrscht permanent Angst. Es ist die Zeit des stalinistischen Terrors, dem auch Charlotte und Wilhelm Powieweit mehr zufällig zum Opfer fallen. Ruge knüpft mit seinem Buch an sein Erfolgsdebüt "In Zeiten des abnehmenden Lichts" von 2011 an. Drei DDR-Generationen, die alle auf ihre Weise mit dem Sozialismus ringen - für Ruge war der Roman damals auch eine Beschäftigung mit der Vergangenheit seiner eigenen Familie. Er selbst wurde in Russland als Sohn des marxistischen Historikers Wolfgang Ruge geboren und wuchs in der DDR auf. Für das Debüt gab es den Deutschen Buchpreis, vor gut zwei Jahren dann die Verfilmung mit Bruno Ganz.

Im neuen Roman geht es nun um die Vorgeschichte von Charlotte und Wilhelm in Moskau. Durch ungünstige Bekanntschaft mit einem Volksverräter werden sie Gäste im Hotel Metropol, das sich als goldener Käfig erweist. Die lähmende Ungewissheit der folgenden Monate machen Protagonisten und Leser gleichermaßen wahnsinnig. Alles scheint plötzlich lebensbedrohlich, jede Aussage, jede Tat. Gleichzeitig fällt eine bürokratische Maschinerie Todesurteile im Zweiminutentakt. Da ist es auf zynische Weise komisch, wenn im Speisesaal der Delinquenten möglichst laut über aktuelle sowjetische Erfolge gesprochen wird, damit am Nebentisch auch ja keine Zweifel an der eigenen Gesinnung aufkommen. Wer "Metropol" liest, dem wird klar, wie erniedrigend es sein kann, unmündig zu sein, und dass es oft leichter ist, seine eigenen Lügen zu glauben, als den Tatsachen ins Gesicht zu schauen. Denn, wenn Stalin tatsächlich wüsste, was im Land gerade vor sich geht, wäre er doch längst eingeschritten. Oder?

Eugen Ruge: Metropol , Lesung am Dienstag, 14. Januar, 20 Uhr, Literaturhaus, Salvatorplatz 1

© SZ vom 13.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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