Literatur-Skandal in Spanien:Carmen Mola ist keine Frau

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Die Schriftsteller Jorge Díaz, Agustín Martínez und Antonio Mercero, Gewinner der 70. Ausgabe des Literaturpreises Planeta, die unter dem Pseudonym Carmen Mola schreiben, halten ihre Auszeichnung in den Händen. (Foto: Kike Rincón/dpa)

Die brutalen Thriller von Carmen Mola verkaufen sich in Spanien blendend. Lange vermutete die Szene, dass eine Professorin aus Madrid die Autorin sei. Bei der Verleihung eines Preises standen jetzt aber drei Männer auf der Bühne.

Von Karin Janker, Madrid

Carmen Mola, am Ende steckt in diesem Namen alles, die Anzüglichkeit, die Selbstverliebtheit und auch die vermeintliche Überlegenheit, der ganze kleine Skandal eben, der sich jetzt in Spaniens Literaturbetrieb ergossen hat. Dabei begann die Geschichte von Carmen Mola so vielversprechend. Die spanische Autorin hat in den vergangenen Jahren sagenhafte Erfolge mit ihren Büchern gefeiert. Ihr Debüt "La novia gitana" stieg 2018 direkt in die Top Ten der Bestsellerliste ein, hielt sich dort erstaunlich lange und wurde mehr als 500000 Mal verkauft. Ähnlich erging es ihren beiden nächsten Romanen. Auf Deutsch ist bislang nur das erste Buch erschienen, unter dem markigen Titel "Er will sie sterben sehen".

Carmen Molas Bücher changieren zwischen Krimi und Thriller, ihre markantesten Merkmale sind wohl ihre Blutrünstigkeit und die Detailverliebtheit, mit der selbst abstoßendste Szenen geschildert sind. Faszinierend waren die Autorin und ihre Bücher für die Literaturkritik dennoch - oder gerade deswegen. Denn jeder wollte dahinterkommen, wer diese Autorin war, die mit ihren grausamen Fiktionen solchen Erfolg bei den Lesern hatte. Binnen weniger Monate entwickelte sich um Carmen Mola in Spanien ein ähnlicher Hype wie anderswo um Elena Ferrante. Dass "Carmen Mola" nicht ihr echter Name war und die Autorin die Anonymität vorzog, gehörte jedenfalls zur Faszination dazu.

Die Autorin spielte geschickt mit ihrer Identität und deren Verhüllung, mit der Aufmerksamkeit der Kritiker und der Öffentlichkeit. Trotz aller Verschwiegenheit gab Carmen Mola regelmäßig Interviews, in denen sie Fragen schriftlich per E-Mail beantwortete. So ließ sie sich auch darüber aus, warum sie ihren wahren Namen verheimlicht: Ein wenig kokett gab sie zu Protokoll, dass sie nicht wolle, dass ihre Arbeitskolleginnen, ihre Freundinnen oder ihre Mutter wüssten, dass sie derart grausame Fantasien habe. Schließlich sei sie in ihrem wirklichen Leben eine völlig konventionelle Frau.

So viel zur Selbstbescheidung einer Dame, der bald nachgesagt wurde, in Madrid als Universitätsprofessorin und Mutter dreier Kinder zu leben. Nebenbei sollen ihr da noch drei Bestseller aus der Feder geflossen sein, jedes Jahr einer. Gewundert hat sich niemand.

Falsch gedacht. Als am Freitagabend in Barcelona der Premio Planeta vergeben wurde, flog alles auf. Spaniens wichtigster Literaturpreis - nebenbei die mit einer Million Euro am höchsten dotierte Auszeichnung für Schriftsteller weltweit (immerhin 10 000 Euro mehr als der Literaturnobelpreis) - ging an diesem Abend an Carmen Mola für ihr noch unveröffentlichtes Manuskript "La Bestia", einen historischen Roman über Madrid während einer Cholera-Epidemie im Jahr 1834. Wieder einmal sterben junge Frauen durch grausame Verbrechen. Carmen Mola bleibt ihrem Genre treu.

Doch nach diesem Abend ist alles anders. Denn auf die Bühne traten drei Männer, die ihr Geld eigentlich mit dem Schreiben von Drehbüchern für Fernsehserien wie "Hospital Central", einer spanischen Version von "Emergency Room", verdienten: Jorge Díaz, Agustín Martínez und Antonio Mercero lüfteten bei dieser Gelegenheit das Geheimnis, dass sie seit Jahren unter dem Pseudonym "Carmen Mola" schrieben, und sprechen nun in Interviews über die Herausforderungen der gemeinsamen Schreibarbeit. Und darüber, dass ihnen ihr Pseudonym sehr spontan eingefallen sei, keine zwei Minuten habe das gedauert.

Im Nachhinein betrachtet lag der Name natürlich nahe. Wörtlich übersetzt bedeutet Carmen Mola nichts anderes als "Carmen gefällt", oder noch etwas wörtlicher: Carmen törnt an. Ein Name, der Bände spricht, schließlich kam Carmen Mola gut an. Womöglich deshalb, weil man eine Frau dahinter vermutete? Wie jeder Skandal erzählt auch dieser etwas über das Umfeld, in dem er sich zugetragen hat. Der Literaturbetrieb in Spanien ist wie der anderswo stets an griffigen Narrativen auch jenseits der literarischen Inhalte interessiert.

Lange war es umgekehrt: Frauen mussten sich hinter Pseudonymen wie George Eliot verstecken

Landesweit zitieren die Kommentatoren die Literaturgeschichte, um zu zeigen, dass es mindestens anrüchig ist, wenn schreibende Männer sich hinter Frauennamen verbergen. Schließlich war literarisches Schaffen die längste Zeit den Männern vorbehalten, weshalb Frauen sich als Männer ausgeben mussten. Man denke an Mary Anne Evans, deren Bücher heute keiner kennen würde, hätte sie sich nicht in George Eliot umbenannt, an die Brontë-Schwestern oder an Siri Hustvedt, die sich in Interviews immer wieder gegen den Verdacht wehren musste, in Wirklichkeit habe ihr Ehemann Paul Auster ihre Bücher verfasst.

Und auch die anderen Reflexe kommen hoch: Da sieht man's wieder, jetzt kehren sich die Machtverhältnisse um, jetzt müssen sich Männer als Frauen ausgeben, um Erfolg zu haben, heißt es auf der Seite derer, die die Wirklichkeit in den Literaturpreisjurys und den Chefetagen der Verlage auszublenden imstande sind. Die Lehre, die sich im Nom de Plume "Carmen Mola" offenbart, ist viel simpler: Drei mittelalte Männer aus der Fernsehunterhaltung, die Krimis schreiben, sind eben nicht annähernd so interessant für die Literaturwelt wie jene Madrider Professorin-Ehefrau-Mutter, die sich heimlich Splatterszenen ausdenkt.

Das verrät viel über das Frauenbild der drei Herren, die sich diese Geschichte ausgedacht haben - die ermittelnde Kommissarin in den Romanen ist nicht zufällig als zickige Alkoholikerin erdacht. Die Autorin Carmen Mola selbst schien gegenüber derartigen Exzessen erhaben. Sie gab sich ihren Abgründen nur in der Literatur hin. Und so empfahl sie, als dieses Jahr die Spanier in die Sommerferien starteten, in diversen Zeitschriften und Tageszeitungen des Landes den Roman "Pleamar" eines gewissen Antonio Mercero, eines Autors, den man ansonsten als Drehbuchautor einer gewissen Krankenhausserie kennt. Es sei ein "ideales Buch, um es am Meer zu lesen". Merceros Buch hat danach ein paar Plätze auf der Bestseller-Liste aufgeholt. Aber die Titel von Carmen Mola lagen immer noch vorn.

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