Literatur:Natur der Dichter

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Anton G. Leitners Lyrik-Anthologie 2019

Von Sabine Reithmaier, Weßling

Alle Jahre wieder. Zum Glück, denn man würde Anton G. Leitners Lyrik-Anthologie "Das Gedicht" ansonsten doch sehr vermissen. Der Weßlinger Verleger und Poet bewegt sich, wie immer, nah am Zeitgeist und hat für sein nunmehr zum 27. Mal erscheinendes Periodikum ein Thema ausgesucht, das die meisten Menschen derzeit beschäftigt: "Dichter an die Natur" nennt sich die diesjährige Ausgabe. Das Titelblatt ist weder grün noch blumig, sondern über die Seite klettert an einem schmalen Halm ein pinkfarbenes Chamäleon.

Nun ist die literarische Naturreflexion alles andere als ein neues Thema. Schriftsteller haben seit jeher eigene Vorstellungen davon entwickelt, was die Natur für die Menschen bedeutet: Mal wurde sie romantisiert, mal als bedrohlich erlebt. In jüngster Zeit hat das Genre in Deutschland wieder einen Aufschwung erlebt. Diese Entwicklung bestätigt Leitner, verweist auf die Flut an Texten, die er nach seinem Aufruf dieses Mal erhielt. Mehr als 2000 Gedichte hätten er und seine Mitarbeiter gelesen, schreibt er. 200 Gedichte von 177 Autoren schafften es dann in den Band, mehr als jemals zuvor in der "Gedicht"-Ausgabe.

Natürlich bieten die Autoren keine endgültigen Antworten, sondern "Gedichte, die Bilder entwerfen, Fragen stellen, Sorgen und Nöte formulieren und Perspektiven erwägen", wie Mitherausgeber Christoph Leisten es formuliert. Die Poeten tun dies auf sehr vielfältige Art und Weise, manche nähern sich ihrem Sujet höchst artifiziell an, andere bevorzugen einen lakonischen Ton. Viel gibt es zu lesen, manches zu bedenken, oft auch zu schmunzeln - die Bandbreite ist groß. Manche Verse spiegeln Zivilisationsmüdigkeit wider, andere den Wunsch nach einer ökologischen Erneuerung.

Aber es gibt auch einfach "Wanderfreuden", wie sie Anna Breitenbach festhält. "Im Wald blühen schon / wieder die Tempos, / Softies, weich & zart, / waschmaschinen- und / winterfest, blütenweiß / leuchten sie aus dem / Waldboden raus, apart / und aber völlig stiellos, / Lilien der niederen Art."

Günter Kunert hat Leitner kurz vor seinem Tod im September noch zwei neue Gedichte geschickt. In "Die Mühen der Ebenen" analysiert er illusionslos die aktuelle Lage: "Die Stürme werden stärker / die Sommer heißer / der Menschen mehr / der Unmenschen auch / das Elend größer / die Hoffnungen kleiner / die Zukunft wilder." Wenig positiv auch Jan Wagner, der sich auf die Heuschreckenplage im Jahr 1338 konzentriert. Kaiser Karl IV. hatte von ihr in seiner Autobiografie berichtet, ein wahrhaft apokalyptisches Szenario. "die ganze schöpfung gegen uns gerüstet, / ein lebendes kettenhemd auf jedem / feld, herr, sie vermehren sich des nachts /wie dunkle wünsche, unnatürliche / gedanken ..."

Erleichtert landet man schließlich in der Sammlung von Kindergedichten, zum wiederholten Mal zusammengestellt von Uwe-Michael Gutzschhahn, und freut sich, weil hier noch die "Summseln brummseln" und "Schletterlinge flügen" (Heike Haas). Bleibt nur noch zu hoffen, dass es einem im nächsten Urlaub nicht so geht wie Michael Augustin, dessen lyrisches Ich endlich an seinem Sehnsuchtsort, dem Meer, sitzt. Es schließt die Augen und genießt das Rauschen. "Autobahn / denkst du / Autobahn // Es klingt wie Autobahn / denkst du // Idiot."

Das Gedicht , Band 27, Anton G. Leitner-Verlag Weßling, 192 Seiten, 15 Euro

© SZ vom 20.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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