Neuer John-Grisham-Krimi:Mal was anderes

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John Grishams Held ist des Mordes angeklagt, man würde ihn trotzdem gerne sympathisch finden. Leider ist er dafür dann doch zu fanatisch. (Foto: AP)
  • Der Meister des Kriminalromans John Grisham veröffentlicht sein neues Werk namens "Das Bekenntnis".
  • Während im ersten Teil des Krimis Grisham seinen Helden hinrichten lässt, ist der zweite voller Leichen grausam ermordeter Amerikaner und Philippiner.
  • Der Autor dekonstruiert den Courtroom-Thriller und schreibt gegen Erwartungen an, die er selbst in seinen Romanen bislang geweckt und befriedigt hat.

Von Ulrich Baron

Nachdem John Grisham den Helden seines neuen Romans im ersten Teil auf dem elektrischen Stuhl hat hinrichten lassen, hilft es dem auch nicht mehr, wenn im zweiten Teil erzählt wird, wie dieser Pete Banning den Todesmarsch kriegsgefangener Amerikaner auf den Philippinen überlebt hat. Es sei denn, diese Geschichte könnte verstehbar machen, warum der angesehene Bürger der Stadt Clanton, Mississippi, und schwer versehrte Kriegsheld eines Tages im Oktober 1946 den allseits beliebten Reverend Dexter Bell erschossen hat.

Grisham zufolge geht der Plot auf eine Geschichte zurück, die er vor Jahrzehnten im Parlament von Missouri gehört hat. Ein geachteter Bürger hatte einen anderen erschossen und sich eher hinrichten lassen, als zu sagen, warum. Auch der Romanheld verweigert die Aussage und untersagt seinen Anwälten jeden Versuch, ihn als vermindert schuldfähig hinzustellen.

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Liest man im zweiten Romanteil die überlange, von Leichen grausam ermordeter Amerikaner und Philippiner gepflasterte Erzählung über Bannings Kriegserlebnisse, so stößt man auf zwei Motive, die seinen Überlebenswillen angestachelt haben: das Bedürfnis, sich an den Japanern zu rächen, und die Sehnsucht nach seiner Frau. Rache hat er nach seiner Flucht aus dem Lager als Partisan ausgiebig nehmen können. Und die Sehnsucht hätte sich nach seiner Rückkehr zu Frau und Kindern, Schwester und schwarzem Gesinde eigentlich stillen lassen müssen. Doch die Geschichte vom Kriegsgefangenen, der zum Kriegshelden wurde, ist vergiftet. Banning kehrte als Totgesagter zurück, was den Keim einer Tragödie enthält.

Eine Verbindung von Rachegefühlen und Sehnsucht

Zu Hause muss etwas geschehen sein, was seine Verbindung von Rachegefühlen und Sehnsucht auf fatale Weise neu aktiviert hat, denn mit seinen mörderischen Schüssen befördert Banning nicht nur sein Opfer und indirekt sich selbst ins Jenseits, er zerstört auch sein Heim und seine Familie. Für sie gesellen sich zum Stigma, Angehörige eines Mörders zu sein, und zum neuerlichen Verlust ihres Oberhaupts noch die Furien der Ziviljustiz.

Bannings Hinrichtung folgen Schadenersatzforderungen, und jetzt würde man als Grisham-Leser eine juristische Finesse erwarten, die doch zumindest den Familiensitz in letzter Minute retten könnte. Die müsste aus jenem dunklen Zentrum kommen, um die der Roman von Anfang an kreist. Da ist es schon bemerkenswert, dass Liza Banning, die Frau des Mörders, in entscheidenden Momenten gar nicht präsent ist. Ihr skandalöses Schicksal enthüllt sich erst gegen Ende und entlarvt dabei auch eine patriarchalische Rechtsordnung.

Beim Lesen jener kurzen Einblendungen in die Kriegserzählung, die dem Zuhause des Helden gewidmet sind, konnte man sich freilich denken: lebenslustige Frau auf einem Landsitz, Kinder schon außer Haus, Mann erst im Krieg und dann für tot erklärt, charmanter Seelentröster macht Hausbesuche... Und auch Bannings Anwälte sind nicht auf den Kopf gefallen. Doch die Erklärung, die Grisham am Ende präsentieren lässt, enthüllt ein entsetzliches Missverständnis und insinuiert einen finsteren Gedanken: Im Missouri der frühen Nachkriegsjahre, wo die Gesetze der Sklavenhalterzeit kaum verbrämt fortwirkten, hätte Grishams Held seine richtige Rache billiger haben können.

Was machte Banning zum "man he was"?

Im Originaltitel "The Reckoning" geht es um "Abrechnung", doch "to reckon" kann "rechnen" ebenso bedeuten wie "schätzen", "glauben" ebenso wie "vermuten". Leider vermag Grishams Erzähler zwar die Gedankenwelt des Protagonisten zu lesen, spart aber aus, wogegen darin zwei Menschenleben und die Schicksale zweier Familien abgerechnet werden. Klar ist für Banning: "Solange er den Mord nicht beging, war er nicht er selbst." Was aber hat ihn zum "man he was" gemacht? Sein Charakter, sein Aufwachsen als wohlhabender Farmer im provinziellen Missouri, seine Kriegserlebnisse?

(Foto: N/A)

Grisham dekonstruiert den klassischen Courtroom-Thriller und schreibt gegen Erwartungen an, die er selbst in zahlreichen anderen Romanen geweckt und befriedigt hat. Er präsentiert einen des Mordes angeklagten Helden, den man gerne sympathisch finden würde, der aber zunehmend als Fanatiker seiner selbstherrlichen Rechtsaufassung erscheint, als Revolverheld, dessen Abrechnung auf tragische Weise zu einfach war und der kein Geheimnis, sondern einen fatalen Irrtum mit ins Grab genommen hat. Nachdem das väterliche Erbe der Familie des Opfers zugesprochen worden ist, bleibt Bannings Kindern immerhin das Land ihrer Tante Florry, das nun verpachtet werden soll. Was mit den Schwarzen geschehen wird, die dort ebenfalls seit Generationen leben, weiß Petes Sohn Joel nicht, aber als wahrer Sohn seines Vaters tröstet er sich - "diese armen Leute kamen immer irgendwie durch". Zum wirklich Tragischen fehlt ihnen aus Sicht dieses jungen Herren die Fallhöhe, und darin - weit mehr als in der Mordgeschichte - liegt das Entlarvende an Grisham neuem Roman.

John Grisham: Das Bekenntnis. Aus dem Amerikanischen von Kristiana Dorn-Ruhl, Bea Reiter und Imke Walsh-Araya. Heyne Verlag, München 2019. 591 Seiten, 24 Euro.

© SZ vom 15.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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