Literatur & Finanzen:Geldfragen

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Olga Tokarczuk, Trägerin des Literatur-Nobelpreises 2019, zu Besuch auf der Frankfurter Buchmesse. (Foto: dpa)

Der Nobelpreis für Olga Tokarczuk zahlt sich für ihre Verlage aus, sie selbst muss das Preisgeld vielleicht gar nicht versteuern.

Von Florian Hassel

In Breslau gab der Bürgermeister nach der Bekanntgabe des Nobelpreises an Olga Tokarczuk Kontrolleuren der städtischen Verkehrsbetriebe eine eindeutige Anweisung: Jeder, der ein Buch Tokarczuks vorweisen könne, fahre kostenlos - zumindest einige Tage. Dabei verkaufen sich Tokarczuks Bücher auch ohne die Breslauer Freifahrtgarantie wie warme Brötchen: Die Buchhandelskette Empik zählte binnen Stunden 12 000 verkaufte Tokarczuk-Bücher. Ihr Hausverlag Wydawnictwo Literackie kam bis zum Wochenende auf 20 000 E-Books und Hörbücher. Gedruckte Tokarczuk-Romane waren flächendeckend vergriffen.

Das Interesse an Tokarczuk steigt wahrscheinlich weiter an: Die Gazeta Wyborcza feierte die Nobelpreisträgerin mit acht Seiten Sonderbeilage ebenso wie das Wochenmagazin Polityka; das katholische Magazin Tygodnik Powszechny hob "Frau Literatur" statt der Parlamentswahl auf den Titel. Also lässt der Verlag 200 000 Exemplare von Tokarczuk-Romanen nachdrucken.

Ein unerhofftes Existenzförderprogramm ist dieser Nobelpreis für den Zürcher Kampa-Verlag. "Für uns als junger Verlag ist dies ein absoluter Glücksfall - wir können es kaum fassen", sagt Meike Stegkemper vom Kampa-Verlag. Erst im Herbst 2018 erschien der Verlag des langjährigen Diogenes-Mitarbeiters Daniel Kampa auf dem Buchmarkt und kaufte zur gleichen Zeit die Rechte an Tokarczuks Romanen ein. Die erst für den 22. Oktober geplante Startauflage von 3000 Exemplaren von Tokarczuks Opus Magnum "Die Jakobsbücher" ist schon vergriffen. Bis Ende Oktober sollen 15 000 weitere Exemplare der "Jakobsbücher" in deutschsprachigen Buchhandlungen liegen, genauso der Roman "Unrast". Die Romane "Gesang der Fledermäuse", "Taghaus, Nachthaus" und "Urzeiten", die der Verlag erst 2020 veröffentlichen wollte, erscheinen jetzt im November.

Anhänger der polnischen Regierungspartei Pis haben die für Demokratie und Umweltschutz, ethnische Minderheiten und Schwule und Lesben auftretende Tokarczuk in der Vergangenheit gern als "Anti-Polin" oder Verräterin diffamiert

In Polen ist der Nobelpreis für Olga Tokarczuk gleichsam eine Staatsaffäre, bei der auch der Finanzminister mittut. Jerzy Kwieciński erklärte nach der Bekanntgabe des Nobelpreises: "Ich habe eine Entscheidung über die Aufhebung der Einziehung der Einkommensteuer von den mit dem Nobelpreis verbundenen Einkünften getroffen. In allernächster Zeit gebe ich den entsprechenden Erlass heraus."

Eigentlich müsste Tokarczuk auf das Nobel-Preisgeld von umgerechnet 944 000 Euro und nach Abzug von 20 Prozent Produktionskosten für ein "selbstgeschaffenes literarisches Werk" 32 Prozent Einkommensteuer zahlen und zudem eine neue Reichensteuer von 4 Prozent. Macht unter dem Strich 955 800 Złoty, also ein Viertel des Preisgeldes, rechnete die Rzeczpospolita vor.

Der Finanzminister könnte Tokarczuk von der Steuerpflicht für das Nobelpreis-Geld wegen "wichtigem Interesse des Steuerzahlers oder öffentlichem Interesse" befreien. Eine solche Entscheidung durch einen Minister der nationalpopulistischen Regierung wäre besonders apart. Schließlich haben Anhänger der Regierungspartei die für Demokratie und Umweltschutz, ethnische Minderheiten und Schwule und Lesben auftretende Tokarczuk in der Vergangenheit gern als "Anti-Polin" oder Verräterin diffamiert und gar ihre Ausweisung gefordert.

Möglichkeit Nummer 2: Ein Erlass des Finanzministers umfasst nicht nur Tocarczuk, sondern "eine Gruppe von Steuerzahlern, zum Beispiel alle, die prestigeträchtige Preise im Ausland bekommen - jetzt und in der Zukunft", so der Steuerspezialist Andrzej Maczak. Das Finanzministerium erklärte auf Anfrage, der Erlass sei noch in Arbeit - dem Sprecher des Finanzministers zufolge wird er "auch künftige polnische Nobelpreisträger umfassen". Ökonomen des Londoner Fachdienstes Capital Economics halten zudem einen Rat bereit: Wegen des andauernden Verfalls des Wertes der schwedischen Krone seien Nobelpreisträger "gut beraten, ihre Preise so schnell wie möglich in andere Währungen umzutauschen".

© SZ vom 17.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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