Nachruf:Der kongeniale Partner

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Der Pianist Lars Vogt starb am 5. September, für viele überraschend, im Alter von 51 Jahren. (Foto: Giorgia Bertazzi)

Am besten war er, wenn er wankte. Der Pianist, Dirigent und Festivalleiter Lars Vogt machte früh schon als Solist Karriere, spielte aber immer auch Kammermusik. Jetzt ist er völlig überraschend im Alter von 51 Jahren gestorben.

Von Helmut Mauró

Vor sechzehn Jahren war das, als der damals 36-jährige Pianist Lars Vogt, die große Nachwuchshoffnung am deutschen Klavierhimmel, mit dem zweiten Klavierkonzert von Johannes Brahms auf den Plan trat: Im zweiten Satz, einem zum Bersten geladenen "Allegro appassionato", liefen dabei auch die Münchner Philharmoniker zu Hochform auf, bündelten ihre Streicher zu klangmächtiger, mitreißender Dramatik. Nichts wirkte bei Lars Vogt aufgesetzt oder gar akademisch, wie man dies in diesem Klavierkonzert durchaus auch erleben kann; alles strömte zwangsläufig und doch beinahe natürlich. Dirigent Christian Thielemann hielt alles straff zusammen, damit die triumphalen Bögen nicht durchhingen, und manchmal brach der Eifer durch, wenn er ruderte und schaufelte, als ginge es über den Ozean.

Dabei war er eigentlich dann am intensivsten, wenn die See am ruhigsten glänzte. Wenn er ein Mezzoforte zurückbrechen konnte in ein vernehmlich klingendes Piano und schließlich, als wirkungsvollsten Effekt, ins immer noch singende Pianissimo. Auch der Pianist Lars Vogt schwamm da plötzlich mit im Strom, hing sich ans Orchester, wo er auch Tongegenwelten hätte entwerfen können, um den klanglich-gedanklichen Spagat aufzuspreizen, den Brahms hier so wirkungsmächtig inszeniert.

Hierzulande hat sich Vogt vor allem einen Namen gemacht durch sein Kammermusikfestival "Spannungen"

Lars Vogt, dem man gerne unterstellte, er sei im deutschen Repertoire völlig selbstverständlich zu Hause, entging nicht immer der Gefahr, dass sich seine kreativ durchdachten Eigenwilligkeiten mitunter in Manierismen verwandelten. Man hörte dies in seinen Aufnahmen von Ludwig van Beethoven, wo er sich ebenso sicher wusste wie bei Brahms. Am überzeugendsten war Lars Vogt immer dann, wenn sein scheinbar robustes Selbstbewusstsein ein wenig ins Wanken geriet. Wenn noch andere Musiker "mitmischten", mit denen man sich zuallererst fachlich verständigen musste; wenn es nicht mehr darum ging, wer sich am Platz behauptet, sondern stattdessen Vorsicht und Rücksichtnahme ins Spiel kamen. Dann konnte man Lars Vogt als kongenialen Partner erleben, dann wirkten Orchester, Dirigent und Solopianist miteinander, ohne dass einer im Ganzen unterging. Dann stand die musikalische Wirkung im Vordergrund.

Er war einer der erfolgreichsten Pianisten der letzten Jahre. Lars Vogt, der bei Karl-Heinz Kämmerling in Hannover studiert hat, errang 1990 den zweiten Platz beim Klavierwettbewerb in Leeds. Da war er gerade 20 Jahre alt und trat fortan als Solist bei den großen Symphonieorchestern auf, baute sich eine Solokarriere auf, war Pianist in Residence bei den Berliner Philharmonikern, eröffnete mit einem Recital den neuen Saal der Carnegie Hall in New York. 2012 erhielt er eine Klavierprofessur in Hannover, 2019 wurde er Chefdirigent des Orchestre de chambre de Paris. Hierzulande hat er sich vor allem einen Namen gemacht durch sein Kammermusikfestival "Spannungen" im Kraftwerk Heimbach in der Eifel. Als Mitbegründer des Projekts Rhapsody in School engagierte er sich für Musikunterricht in Schulen. Seit mehr als einem Jahr kämpfte Vogt gegen eine Krebserkrankung, am vergangenen Montag erlag er mit 51 Jahren der Krankheit.

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