Kurzkritik:Wurst und Wut

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"Protomartyr" aus der Krisenstadt Detroit im Strom

Von Martin Pfnür, München

Man könnte es wahlweise als Verweigerungs-Performance oder Performance-Verweigerung bezeichnen, was Joe Casey da auf der Bühne im gut besuchten Club Strom veranstaltet. Verloren wie ein kreuzbraver Steuerberater, den die arglistigen Kollegen dazu genötigt haben, jetzt endlich auch mal einen Karaoke-Song zu singen, steht der etwas teigige Frontmann der Detroiter Postpunk-Band Protomartyr in Jackett und zugeknöpftem Hemd zwischen den beiden deutlich jüngeren Heavy-Metal-Phänotypen Greg Ahee an der Gitarre und Scott Davidson am Bass. Stets scheint er gerade sehr dringend über etwas nachdenken zu müssen, stiert auf den Boden, hält sich an seinem Becks-Bier fest, zieht ab und an eine schiefe Grimasse.

Und dennoch: Sobald Casey seinen rauen und zuweilen an Nick Cave erinnernden Bariton hören lässt, tut all das nichts mehr zur Sache. Ganz im Gegenteil unterstreicht dann gerade das Statische und Wurschtige in seinem Auftritt die Dringlichkeit der abstrakten Zeilen, mit denen der lange Jahre als Tür-Aufhalter arbeitende Sänger um Themen kreist, die ihn als Bewohner der krisengebeutelten "Motor City" Detroit umtreiben: soziale Ungleichheit, Gentrifizierungswut, Zukunftsängste, ausweglose Biografien.

Nicht selten kämpft er mit seinen Tiraden gegen eine Musik an, die sich in ihren harsch und pragmatisch zirkulierenden Patterns als eine Art Malstrom beschreiben lässt, aus dem sich bei allem Überdruck immer wieder griffige Melodien, mitunter gar Ansätze von Groove herausschälen. Am intensivsten gerät dieses Konzert jedoch immer dann, wenn sich Gitarre, Bass und Schlagzeug eine Spur zurücknehmen und Casey in einen Modus zwischen Deklamieren und Singen wechselt, über den sich in einem Stück wie dem cool angeschrägten "The Devil In His Youth" der ganze lyrische und musikalische Tiefgang dieses ungleichen Quartetts entfaltet. Kein Zweifel, authentischer und mitreißender als hier klang der Postpunk schon lange nicht mehr.

© SZ vom 23.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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