Kurzkritik:Piano-Dialektik

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Lise de la Salle und das BR-Kammerorchester

Von Harald Eggebrecht, München

- Nach dem brausenden Schlussbeifall dankte Lise de la Salle mit einem Prelude von Claude Debussy. Es war verblüffend, wie die junge Pianistin, Jahrgang 1988, die dem Ehrentitel "Virtuosin" ganz im Sinne des großen Emanuel Feuermann alle Ehre macht, dieses Prelude mit eben jener Artikulationsdeutlichkeit anging, die zuvor ihr Mozart-Spiel imponierend prägte. Bekanntlich hat Mozart größten Wert auf das Nicht-"Hudeln" gelegt. Es reicht aber nicht, nur akkurat und hübsch vor sich hin zu perlen.

Lise de la Salle dagegen gestaltet, lässt nichts außer Acht und zeigt, dass die Linke die Rechte nicht einfach begleitet, sondern links und rechts sich im dialektischen Prozess von Kommentar und Unterstützung, von Gegenkraft und gegenseitiger Befeuerung entfalten, "beleuchten" und pointieren. Hinzu kommt ein scharfer Sinn für Dynamik und Rhythmik und ein unverhohlener architektonischer Wille, schon im A-Dur-Rondo KV 386 mit seinen mehrfachen Solokadenzen und Couplet-Scherzen. Lise de la Salle bot diese "Wiener klassischen" Witze mit Unbedingtheit und Unmissverständlichkeit. Aus diesem Geiste packte sie auch das berühmte Es-Dur Konzert KV 271 an, das der 21-jährige Mozart für die Pianistin Louise Victoire Jenamy geschrieben hat. Lise de la Salle strahlt enorme Energie aus, die sie gleichwohl großartig zu zügeln weiß, auch wenn manchem das Drängende, Fordernde, nach vorn Gerichtete in ihrem Spiel als unruhig erscheinen mag. Aber dies ist immerhin das Stück eines jungen Komponisten, dessen Meisterschaft Lise de la Salle stolz ausbreitet. Zu Recht gewaltiger Beifall und jenes aus reicher Anschlagsnuancierung völlig klar entstehende Debussy-Prelude.

Danach bot das BR-Kammerorchester unter Radoslaw Szulc Josef Haydns dramatische, facettenreiche, dunkle c-Moll-Symphonie Nr. 52. Doch, wie schon beim Mozart-Konzert wahrzunehmen, kommt bei solcher theatralisierter, mit ständigen Überraschungen, Farb-, Affekt- und Charakterwechseln agierender Impulsmusik sogar ein so vorzügliches Ensemble ohne Dirigenten an seine Reaktionsgrenzen. Sei's drum, mit dem rasant hingefegten Finale aus Haydns Symphonie Nr. 60 verabschiedeten sich die BR-Musiker vergnügt für dieses Jahr.

© SZ vom 15.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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