Kurzkritik:Perspektive und Charakter

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Die junge Geigerin Noa Wildschut imponiert in Nymphenburg

Von Harald Eggebrecht, München

Die Direktheit von Wolfgang Amadé Mozarts Sonate KV 454, die farbenreiche Lyrik von Ernest Chaussons "Poème", die drastische Witzigkeit von Sergei Prokofjews Sonate op. 94b, die harten Licht-Schatten-Kontraste in Pablo de Sarasates "Zigeunerweisen" und der große Kantabilebogen von Johann Sebastian Bachs "Air" - da sind Anforderungen zu erfüllen, die die Qualität und das Potenzial jedes Geigers grundlegend auf die Probe stellen.

Die erst 15 Jahre alte Niederländerin Noa Wildschut hat im Hubertussaal von Schloss Nymphenburg nicht einfach sehr gut gespielt, sondern hat den so unterschiedlichen Stücken ihre jeweilige Gestalt unverwechselbar gegeben. Nie musiziert dieses große Talent perspektivlos, nie spult Noa Wildschut nur Einstudiertes ab. Immer will sie die jeweilige Musik charakterisieren, konturieren, artikulieren, ganz im Sinne von Sergiu Celibidaches Spruch: "Artikulieren heißt Vermenschlichen".

So kennt sie bei Mozarts B-Dur Sonate kein Zögern, sondern phrasiert so sinnfällig und zupackend, dass man jedes "Wort" versteht. Chaussons "Poème" kann in der Fassung mit Klavier zwar nicht jenen Farbzauber entfalten, den Chausson gewollt hat. Aber wie Noa Wildschut das Stück als eine einzige, sich vehement steigernde Emotionskurve auszog, von zarter Ruhe hin zu ekstatischer Erregung und dann erschöpft zurücksinkend, war bezwingend. Es gelingt dieser Violinprinzessin fast immer, Musik als Raumkunst zu gestalten und nicht nur flach abzuspielen. So erlebt man Prokofjews viersätzige Sonate als Folge ganz verschiedener Bewegungen und Haltungen von der gelassenen Anfangsentfaltung bis zu den blitzenden Pointen des finalen Marsches. Ihre fundamentale und, das Wort sei erlaubt, reine Musikalität bewahrt die Geigerin bei Sarasate dann vor jedem falschen Schmalz und pseudovirtuosen Schmäh. Gewiss, sie ist noch nicht perfekt, (ihr Klavierpartner Yoram Ish-Hurwitz blieb nur brav exekutierender Begleiter), aber das Abenteuer, diese großartige Begabung bei ihrer Entwicklung zu beobachten, hält an.

© SZ vom 31.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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