Kunststreit:Auf der Bühne der Zeiten

Lesezeit: 3 min

Hängt endlich: Minkewitz' "Aufrecht stehen - für Herbert Belter, Ernst Bloch, Werner Ihmels, Hans Mayer, Wolfgang Natonek, Siegfried Schmutzler" (Foto: Marion Wenzel/VG Bildkunst, Bonn 2015)

Ab heute ist in Leipzig das Gemälde "Aufrecht stehen" von Reinhard Minkewitz zu sehen. Es antwortet auf Werner Tübkes propagandistisches Wandbild "Arbeiterklasse und Intelligenz".

Von Jens Bisky

Vorn rechts sitzt mit dem Rücken zum Betrachter der Stifter des Bildes, der Schriftsteller Erich Loest. Er hatte in Leipzig studiert und erste Bücher geschrieben, bevor er 1957 wegen angeblicher "konterrevolutionärer Gruppenbildung" verhaftet und zu siebeneinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt worden war. Er lebte und schrieb auch nach seiner Entlassung in Leipzig, bis er nach Jahren der Drangsalierung die DDR verließ. In rasanten, gewitzten Romanen - "Völkerschlachtdenkmal", "Nikolaikirche", "Löwenstadt" - erzählte er deutsche Geschichte am Beispiel der Stadt an der Pleiße, in die er nach der friedlichen Revolution heimkehrte. Sie bot ihm reichlich Gelegenheit, sich zu ärgern über Verlogenheit im Umgang mit der Geschichte. Als der alte Plattenbau der Universität durch einen neuen ersetzt wurde und auch im Neubau Werner Tübkes Wandbild "Arbeiterklasse und Intelligenz" einen Platz fand, empörte sich Loest. Auf Tübkes altmeisterlichem Riesengemälde, stilistisch irgendwo auf dem Weg vom Manierismus zur Renaissance, war unter den mehr als hundert Figuren auch der einst mächtige SED-Bezirkschef Paul Fröhlich porträtiert, ein Stalinist reinsten Wassers, mitverantwortlich auch für den Abriss der Universitätskirche St. Pauli. Wie bei vielen Werken Tübkes triumphiert auch im Monumentalwerk von 1973 die Selbstverherrlichung des Künstlers, aber das hat der propagandistischen Wirkung des Traumbilds einer freien Gesellschaft der Schöpferischen nie geschadet. Loest unterbreitete einen gleichermaßen kämpferischen wie zivilisierten Vorschlag: Ein Bild sollte her, dass nicht die Sieger der Karl-Marx-Universität feierte, sondern an ihre Opfer erinnerte. Es dauerte, bis er in dem Leipziger Künstler Reinhard Minkewitz einen fand, der die Idee aufgriff.

Jahre des Streits und kleinlicher Störmanöver seitens der Universität folgten, Erich Loest starb 2013. An diesem Montag nun wird das Gemälde "Aufrecht stehen" im Hörsaalgebäude der Leipziger Uni enthüllt, als Leihgabe der Stiftung Friedliche Revolution. Es ist die dritte Fassung, der erste Entwurf hängt im Loest-Haus in Mittweida, der zweite auf dem Mediencampus in Leipzig. Zu sehen sind - sitzend, im Gespräch - die beiden Marxisten Hans Mayer und Ernst Bloch. Franz Häuser, bis 2010 Rektor der Uni, und deren Kustos, Rudolf Hiller von Gaertringen, hatten sich nicht entblödet, den beiden den Platz auf dem Gedenkbild streitig machen zu wollen, da sie doch dem Ruf des stalinistischen Systems gefolgt seien, gegen das andere aufbegehrten. Nun, Geschichte neigt dazu, kompliziert zu sein. Loest wollte beide nicht missen, zumal Mayer seine Familie unterstützt hatte, als er in Bautzen saß.

Links neben den Sitzenden steht Wolfgang Natonek (1919-1994), als liberaler Demokrat Vorsitzender des ersten Studentenrates, 1948 verhaftet und zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt. Der hagere junge Mann in der Tiefe des Bildraumes ist Werner Ihmels (1926-1949). Der Aktivist der christlichen Jugendarbeit wurde 1947 vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet, er starb nach einem missglückten medizinischen Eingriff im "Gelben Elend" in Bautzen. Links von ihm, weit vorn, die Brille in der Hand, steht der Studentenpfarrer Georg-Siegfried Schmutzler (1915-2003), in einem Schauprozess wurde er 1957 abgeurteilt, fünf Jahre Zuchthaus. Links außen ist Herbert Belter (1929-1951) zu sehen, der 1950 mit Gleichgesinnten Flugblätter für Meinungsfreiheit verteilte. Ein sowjetisches Militärtribunal verurteilte ihn zum Tode, am 28. April 1951 wurde er in Moskau hingerichtet. Von ihm fand Minkewitz während seiner Recherchen nur ein Foto.

Das über neun Meter lange, 2,60 Meter hohe Gemälde hat Minkewitz als "Zeitbühne" komponiert. Im Hintergrund ist wie auf einem Bühnenprospekt die 1968 gesprengte Paulinerkirche zu sehen, daneben die klassizistische Fassade des Augusteums, davor Steinplatten, gebrochene Schollen, eine Erinnerung an Caspar David Friedrichs "Eismeer". Minkewitz wollte keinen "Anti-Tübke" malen, wer Sortierungen liebt, kann "Aufrecht stehen" der Leipziger Schule zurechnen, zu der auch Tübke gezählt wird. Aber statt des farbenfrohen Gewimmels dominiert hier Grisailletechnik und ein rostig wirkender Rotton, Caput mortuum. Nicht Gruppen, sondern Einzelne bestimmen die Komposition, fast verloren wirken sie angesichts der Tiefe des imaginierten Erinnerungsraumes. So plastisch die Oppositionellen wie die Professoren dem Betrachter vor Augen stehen, so isoliert sind sie, selbst in der Gesprächsgruppe. Die Komposition ist gekonnt auf die Situation im Hörsaalgebäude ausgelegt, von jeder Seite eröffnet sie eine andere Perspektive. "Aufrecht stehen" überzeugt durch formale Strenge, ein künstlerisches Ethos. Minkewitz agitiert nicht und er albert nicht herum, "Schaut genau hin!", sagt sein zeitgenössisches, zeitgemäßes Historienbild.

"Aufrecht stehen" und "Arbeiterklasse und Intelligenz" können montags bis freitags im Hörsaalgebäude der Universität Leipzig besichtigt werden.

© SZ vom 30.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: