Kunstmarkt:Vor dem Nichts

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Sonst der Jahreshöhepunkt in der Stadt der Künstler: Gallery Weekend. (Foto: imago images / Joko)

Die Sorge geht um in der internationalen Kunstszene Berlins. Auch der Aufenthaltsstatus vieler Künstler ist prekär.

Von Catrin Lorch

Der Künstler - ein Ukrainer - ist weltbekannt, sein Werk wird in den großen Museen der Welt gezeigt, bei internationalen Ausstellungen und Biennalen. Zudem gehört er nicht nur zum Programm zahlreicher Galerien, seine Zeichnungen, Videofilme und Gemälde waren bislang auch auf Auktionen gefragt. Doch in den Stunden, in denen auf der ganzen Welt Galerien "vorübergehend" schließen, Messen und Auktionen zwischen Moskau und New York abgesagt oder verschoben werden, ist die Stimmung in der Berliner Wohnung angespannt: Das Einkommen hat zum Unterhalt gereicht, aber es gibt kaum Rücklagen. Wovon wird die Familie leben - in den nächsten Wochen, in den kommenden Jahren?

Der junge Australier, der vor wenigen Jahren nach Berlin gezogen ist, hat lange um seine Aufenthaltsgenehmigung gekämpft. Wer nicht aus Europa stammt, sondern beispielsweise aus Neuseeland oder Ghana, muss für die Aufenthaltserlaubnis ein Einkommen nachweisen, muss Rechnungen, Quittungen, Aufträge bis hin zu Ausstellungseinladungen, Empfehlungsschreiben und Verträgen mit Galeristen vorweisen. Ab und an war der Australier kurz davor, nach England umzuziehen, doch war die große, internationale Berliner Szene ideal. Er konnte ausstellen und nebenbei einen Roman veröffentlichen und für ein Szene-Magazin schreiben.

Doch was wird aus dieser eng verwobenen, internationalen Szene werden, wenn der Kunstmarkt sich nicht schnell erholt? Berlin war ja nicht nur der Ort, an dem man günstig Atelierräume anmieten und Kuratoren treffen konnte, dort fielen auch alle paar Monate amerikanische, italienische und chinesische Sammler zu den gemeinsamen Vernissagen der Galerien ein - und kauften. Derzeit sind die Galerien zu, der Markt bedrückend still. Während in der vergangenen Woche Kulturmanager wie Daniel Hug von der Art Cologne und Maike Cruse vom Gallery Weekend in Berlin noch zuversichtlich in den Herbst blickten, stellen sich viele die Frage, was ist, wenn die Rezession mit voller Wucht kommt.

Wie alle Selbständigen stehen auch Künstler jetzt vor dem Nichts. Und es ist vor allem die internationale Berliner Szene, auf die Deutschland so lange so stolz war, die besonders betroffen sein wird. New York war die Metropole der Avantgarde, in London kaufte ganz Europa ein, aber Berlin war die Stadt der Künstler, Anziehungspunkt für eine ganze Generation. Was wird aus denen werden, die aus den USA und Schottland, aus Spanien, Südamerika, Vietnam, Neuseeland und Nigeria gekommen sind, die sich im WG-Zimmer und mit Gelegenheitsjobs eingerichtet hatten. Und für deren Überleben nicht nur ihr Können im Atelier und dem Off-Space entscheidend war, sondern auch ihre Fähigkeiten, sich im Ausländeramt zu behaupten.

Diese Künstler haben unendlich viel zum Ruf nicht nur Berlins, sondern auch Deutschlands beigetragen. Einem Land, das nicht länger nur biedere Kulturnation war, sondern mit "Berlin" das angesagteste Label zeitgenössischer Kunst besaß.

Es ist derzeit kaum abzusehen, wie viele dieser "Berliner" in dieser Krise nicht nur ihr Einkommen und ihre Karriere verlieren, sondern auch ihren Status in Deutschland - und damit ihre künstlerische Heimat.

© SZ vom 19.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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