Kunstmarkt:Heldenreise

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Originale Comiczeichnungen des 20. Jahrhunderts werden von den Sammlern erst allmählich entdeckt. Selbst "Tim und Struppi"-Arbeiten sind noch zu haben.

Von Alexander Hosch

Zu den wunderbaren Superhelden jener Zeit, als die Älteren von heute noch Kinder waren, gehörten Asterix, Tim und Struppi oder das bizarr-niedliche Fantasiewesen Marsupilami. Comicserien enthielten damals neben den auch heute noch angesagten vier Fäusten für ein Halleluja viel Ironie und immer eine Prise Katharsis. Die oft sehr speziellen Heldenreisen führten eher über das Prinzip Zufall zum Ziel als durch Lichtschwerter. Und manche Heroen, vor allem der belgischen oder französischen Comics, hatten sogar Selbstzweifel. Tempi passati.

Aber seit ein paar Jahren werden auf einmal ihre Unikate gesucht. Bei so vielen neuen Kunstmarkt-Mitbietern aus Schwellenländern lässt sich ja heute immer schwerer ein Bietergefecht gewinnen, sobald es um einen möglichen Leonardo oder Modigliani geht. Daher lohnt der Blick auf vergessene Originale der letzten analogen Jahrzehnte. Die Basis der meist 30 bis 50 Seiten langen Comic-Fortsetzungsgeschichten der Midcentury-Jahre waren schließlich Tusche- und Bleistiftzeichnungen, Aquarelle und Gouachen für die Deckblätter, handgefertigte Bilderbögen. Die reine Kunst.

Während die eine Sorte Comic-Fans US-Größen wie Superman, Mickey Mouse und Donald Duck liebte, konsumierte die andere Hälfte Protagonisten mit sehr realen Abenteuer-Narrativen: Rennfahrer, Journalisten, Flieger, Taucher, Geheimagenten.

Die Hochburg der europäischen Comicproduktion war schon vor dem Zweiten Weltkrieg Brüssel. Dort entstand das Zeitungssupplement Le Petit Vingtième, später Magazine wie Tintin, Pilote und Spirou. Und im Kräftefeld Richtung Paris lebten die meisten Illustratoren und Textautoren.

Seit ein paar Jahren gibt es von allen großen Versteigerungshäusern spezielle "Comic Art"-Auktionen, meist in Paris. Sotheby's veranstaltete dort 2012 seine erste eigene Auktion für das Sammelgebiet. Es wurden insgesamt nur rund 650 000 Euro erzielt und weniger als ein Drittel der Lose verkauft. Bei der nächsten Auflage, im März 2015, kamen schon 3,8 Millionen zusammen, fast 70 Prozent wurden zugeschlagen. Zwei "Tim und Struppi"-Originale von Hergé waren am teuersten - sie erreichten 453 000 und 327 000 Euro.

Auch Hergé-Originalzeichnungen für „Tim und Struppi“ (im Original: „Tintin“) sind noch zu haben. (Foto: Artcurial)

Ein halbes Jahr später wurde eine Hergé-Tusch-Illustration aus "König Ottokars Zepter" von 1939 sogar für 1,5 Millionen Euro versteigert. In diesem Abenteuer - gut ein Jahr nach dem realen "Anschluss" Österreichs an Hitlers Nazi-Reich - verhindert der Reporter Tim die Annexion des fiktiven Königreichs Syldavien durch die benachbarte Diktatur Bordurien. Signierte Bilderbögen aus "Ottokar" erreichen immer wieder Höchstpreise - 2018 etwa eine im Comic selbst gar nicht verwendete quadratische Szene, in der Tim mit Struppi und einer Flasche Rotwein in der Hand aus Bordurien flüchtet (607 500 Euro). 2015 in Hongkong verkaufte das Pariser Versteigerungshaus Artcurial an einen asiatischen Sammler eine schwarz-weiße Illustration aus "Der Blaue Lotos" von 1934 - für 1,1 Millionen Euro, einer der fünf teuersten Bilderbögen aller Zeiten.

Gedruckte Erstausgaben von Comicbüchern erreichen mitunter enorme Summen

Noch höher sollen zwei "Tim und Struppi"-Erlöse 2014 im Handel gewesen sein: Für das Deckblatt zum Abenteuer "Der geheimnisvolle Stern" (rund 2,5 Millionen auf der Brussels Antiques & Fine Arts Fair) und 2,7 Millionen Euro in Paris (für ein Blatt von 1937).

Bögen von Osamu Tezuka, der als Erfinder der japanischen Mangas gilt, können ebenfalls sehr teuer werden. 2018 brachte eine Seite von 1951, die seine Figur Astro Boy inszeniert, bei Artcurial in Paris, das für Bandes Dessinées (französisch für Comics) bereits 2005 eine eigene Abteilung gegründet hat, 269 700 Euro.

Auch gedruckte Erstausgaben von Comicbüchern erreichen enorme Summen. Als bis jetzt wertvollster Band gilt die ehemals für zehn Cent angebotene Edition 27 der amerikanischen "Detective Comics" aus dem Verlag DC (einmal verkauft für knapp 3,4 Millionen Dollar). Der hohe Preis des extrem raren, 1939 erschienenen Bands ist auch damit zu erklären, dass der Superheld "The Batman" darin seinen allerersten grandiosen Auftritt hat.

Zurück in die Gegenwart: Die Nachfrage etwa nach Blättern des Ende März gestorbenen französischen Zeichengiganten Albert Uderzo, der 1959 mit René Goscinny den antiken Superhelden Asterix erfand, ist schon länger groß. In der Versteigerung, die Artcurial gerade fertig vorbereitet hat (und nach dem Ende des Lockdowns in Paris abhalten will), gibt es von Uderzo eine Asterix-Gouache zusammen mit dem wichtigsten Sidekick Obelix, für die bis zu 25 000 Euro erwartet werden.

Im Vordergrund der Auktion stehen aber die Werke des Belgiers André Franquin (1924-1997). Er hat die Comics von Spirou und Fantasio entscheidend umgeprägt: Indem er 1952 das so enigmatische wie wehrhafte Beuteltier Marsupilami dazu erfand. Später bekam es sogar eine eigene Serie - heute würde man sagen: einen Spin-off. Von Franquin stammt das Premiumlos: die zarte Stift- und Tuschezeichnung "La Pirogue" von 1954 für ein Cover (Taxe 350 000 - 450 000 Euro). Auf dem Bild hängt das Marsupilami abwartend in einer Dschungel-Liane, während Spirou und Fantasio per Flussboot nach ihm Ausschau halten. Von Franquin gibt es in der Auktion mit Preisen ab 5000 Euro aber auch günstigere Unikate.

Osamu Tezuka, der Zeichner von „Astro Boy“, gilt als Erfinder der japanischen Mangas. (Foto: Artcurial)

Auch Hergé-Originalzeichnungen für "Tim und Struppi" (im Original: "Tintin") sind im Angebot, darunter eine aus dem beliebten "Ottokar"-Band (250 000 -350 000 Euro). Ansonsten halten, wie jetzt in der Artcurial-Offerte zu sehen, vor allem die Siebzigerjahre noch Entdeckungsmaterial bereit. Damals existierten allein in Belgien und Frankreich hunderte Comichelden, deren Storys in wöchentlichen Fortsetzungen in alle Welt lizenziert wurden.

Originalseiten von weniger bekannten Illustratoren werden schon ab 150 Euro angeboten

Etwa der Raum-Zeit-Agent Valérian. Der lässige Schlacks im Raumanzug, eine Art Avatar des frühen New-Age-Zeitalters, war witzig, erfinderisch und in stets unterschiedlichen Jahrhunderten zu fremden Planeten unterwegs. In seinen Abenteuern in Begleitung einer langhaarigen Barbarella namens Laureline tummeln sich psychedelische Lustinseln, die von Eero Aarnio und Verner Panton entworfen scheinen, telepathische Haustiere, die Glücksgefühle stiften, und hypnotische Riesenmuscheln, in deren Zentrum man die Last des Alltags vergisst. Solche Heilmittel sind auch in aktuellen Hausapotheken willkommen.

Valérians Wunderwelt durchrasen Sonnenzellen-Raumgleiter, die wie Drohnen aus dem zukünftigen Jahr 2700 wirken, während Paläste fremder Galaxien eher afrikanischen Lehmburgen von 1500 gleichen. Zusammen auf dem gleichen Blatt sieht das oft sensationell und auch ein bisschen irre aus. Vom Valérian-Zeichner Jean-Claude Mézières bietet Artcurial unter anderem eine Mischtechnik mit Gouache und Tusche an, die für das Deckblatt von "L'Orphelin des astres" entstand. Drei Space-Motorradfahrer brettern darauf durchs All. Sie wird für 40 000 bis 45 000 Euro aufgerufen.

In der kommenden Auktion gibt es außerdem Blätter und Bilderbögen von den Zeichnern und Cartoonisten Sempé, Enki Bilal, Claire Bretécher, Gotlib, Vance, Moebius und Hugo Pratt. Limitierte und signierte Litho- und Serigrafien von Stars wie Franquin gibt es ab 200 Euro. Originalseiten von weniger bekannten Illustratoren werden sogar schon ab 150 Euro angeboten. Im eskapistischen Universum der Comicserien gibt es noch eine Menge unverhoffter Unikate zu entdecken.

© SZ vom 11.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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