Kunst:Wo früher eine Leerstelle war

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Sein Museum in Unterammergau eröffnet der Unternehmer Christian Zott mit einer Ausstellung von Wolfgang Beltracchi, der als Fälscher berühmt wurde und nun Lücken der Kunstgeschichte ausmalt

Von Sabine Reithmaier

Kairos wartet schon. Bildhauer Bruno Wank hat den griechischen Gott wie einen Ringer gestaltet, der angespannt auf die ganz besonderen, das Leben verändernden Momente lauert. Die Skulptur passt zu Christian Zott. Jahrelang hatte der Unternehmer die Baugenehmigung für Kunsthalle, Hotel und Restaurant in der Tasche. Doch er war sich noch nicht sicher, ob er an seinen Geburtsort zurückkommen wollte. "Irgendwann überwog das Heimgefühl", sagt der 59-Jährige. Dann dauerte es nur mehr 19 Monate, bis er Unterammergau ein dreiteiliges Gebäudeensemble auf 7000 Quadratmetern Grund bescherte, direkt am Naturschutzgebiet "Pulvermoos".

Die Neubauten am Weiherweg, entworfen vom Schweizer Architekturbüro Wild Bär Heule, muten vertraut an. Das liegt an der Außenhülle, die an bäuerliche Gebäude erinnert: ein abgelöster Zierbund, der die Vordächer stützt und die großen Glasflächen fast verbirgt. Auf fünf Millionen hatte Zott die Baukosten beim ersten Spatenstich geschätzt, zwölf sind es geworden. "Ohne Kunst", sagt Zott und bleibt vor dem zweiten Kairos stehen, eine Bronzefigur, die Wank in klassisch hellenistischer Manier gestaltet hat.

Der Blick auf Kunsthalle und Tagungszentrum vom Skulpturenpark aus, rechts im Bild das Boutique-Hotel. (Foto: mSE Kunsthalle/Sabine Gistl)

Verdient hat Zott die Millionen mit seiner Beratungsfirma mSE-Solutions, die er als 27-Jähriger in München gründete. Seither optimiert sein Unternehmen die Logistikketten internationaler Konzerne, hat Standorte in Singapur, Chicago und Lübeck. Zott hat sich 2011 aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen. Um seine Manager nicht zu nerven, wanderte er damals sieben Monate von Portugal bis Istanbul. In Verona traf er in einer Galerie den 2016 verstorbenen Fotografen Mauro Fiorese, der jahrzehntelang in den Depots italienischer Museen fotografiert hatte, um zu dokumentieren, welche Kunstwerke die Besucher nie oder selten zu Gesicht bekommen.

Die schiere Menge dieser Werke animierte Zott, über die Lücken in der abendländischen Kunstgeschichte nachzudenken und sich zu fragen, ob die Künstler alle Momente gemalt hatten, die zeitgeschichtlich wichtig gewesen wären. Hatten sie natürlich nicht. Daher engagierte Zott den ehemaligen Meisterfälscher Wolfgang Beltracchi, um die Leerstellen zu füllen. Das Ergebnis ist einschließlich der "Treasure Rooms" Fioreses in der Eröffnungsschau der Kunsthalle (Obergeschoss) zu sehen.

Christian Zott, Jahrgang 1960, Unternehmer und Kunstsammler, hat Maschinenbau- und Betriebswirtschaft studiert. Jetzt ist er gerade dabei, seinen Master in Philosophie zu machen. (Foto: mSE Kunsthalle/Sabine Gistl)

Tatsächlich sind die Geschichten zu den Bildern oft besser als ihre Umsetzung. Lucas Cranach etwa verpasste es, Luthers Begegnung mit der heiligen Anna festzuhalten, als er ihr während eines Gewitters gelobte, Mönch zu werden. Edward Turner wiederum hat ausgerechnet das Schiff "HMS Beagle", das den Hafen von Devonport 1831 verließ, nicht gemalt. An Bord wäre Charles Darwin gewesen, der zur ersten Expeditionsreise aufbrach. Oder Gustav Klimt, der sich selbst nie darstellte. Das erledigte Beltracchi, der ihn im blauen Kittel mit offenem roten Mund malte und sich selbst als Fährmann Charon dazu.

Die Gemälde sehen nicht wie Originale der zitierten Künstler aus. Das sei auch nicht die Absicht, sagt Zott. "Wir erwischen den Stil und die Ästhetik der jeweiligen Zeit." Für ihn stellt die Schau ein Gesamtkunstwerk dar, zu der auch die schwarzen Transportboxen und die Stellwände gehören. Die Schau war bereits in Venedig, Hamburg und Wien. Nach Unterammergau soll sie nach Amerika. Das Foyer der Kunsthalle und den Skulpturenpark, aber auch das Hotel bestückt Zott mit Werken aus der eigenen Sammlung. Er sei kein Galerist, sagt er. "Ich habe gesammelt, was mir gefällt." Zu seinen Favoriten gehören der Südtiroler Bildhauer Lois Anvidalfarei, aber auch Ernst Barlach und Wilhelm Lehmbruck oder die Gemälde des aus Russland stammenden Hamburger Künstlers Konstantin Sotnikow. Für ein halbes Jahr gehört auch die "Sichtung" dazu, eine 32 Meter hohe, begehbare Raumklangskulptur aus Stahlplatten, geschaffen von Hildegard Rasthofer und Christian Neumaier.

Die schönste Phase des gesamten Projekts sei die Planung gewesen, sagt Zott und trinkt einen Schluck Kaffee. Jetzt sei erst mal Pause und Konsolidierung angesagt. Den "Zott Artspace" in der Türkenstraße will er Mitte 2020 schließen. Für das umstrittene Chalet-Dorf mit 16 Ferienhäusern, das direkt unterhalb des Skulpturenparks entstehen soll, begnügt er sich einstweilen mit der Baugenehmigung. Worüber er aber nachdenkt, ist die nächste Ausstellung, die Anfang Mai startet. "Wir werden einen Kontrapunkt zur Oberammergauer Passion setzen", sagt Zott. Mit Provokation habe das aber nichts zu tun.

© SZ vom 12.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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