Kunst:Weg damit

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Der Bürgermeister von Venedig hat ein neues Rezept parat, mit dem er die Schulden der Stadt tilgen will - er möchte gern Kunstwerke verkaufen, die seiner Ansicht nach nichts mit Venedig zu tun haben, zuallererst einen Klimt.

Von Thomas Steinfeld

Erst seit Mitte Juni dieses Jahres ist Luigi Brugnaro Bürgermeister von Venedig. Seitdem ist der Eigentümer einer Agentur für Zeitarbeit und eines Basketball-Klubs aus den Schlagzeilen der internationalen Presse kaum herausgekommen: Er ließ Bücher, in denen von gleichgeschlechtlichen Paaren die Rede ist, aus den Schulbibliotheken entfernen und zog sich so den Zorn Elton Johns zu. Er verfügte, es werde in seiner Stadt keine "Gay Parade" geben. Er verhinderte eine Ausstellung mit Bildern des weltberühmten Fotografen Gianni Berengo Gardin im Palazzo Ducale: Sie zeigen "grandi navi", die gigantischen Kreuzfahrtschiffe, wie sie das historische Zentrum durchqueren und in ein Puppenhaus verwandeln (die Ausstellung ist jetzt im "Negozio Olivetti" am Markusplatz zu sehen). Am vergangenen Wochenende erklärte er nun, er erwäge, einige der bekanntesten Kunstwerke aus dem Ca' Pesaro versteigern zu lassen, dem venezianischen Museum für moderne Kunst. Mit dem Erlös sollten die Schulden die Stadt beglichen werden. Ins Auge gefasst hat er vor allem Gustav Klimts Gemälde "Judith II" aus dem Jahr 1909 und Marc Chagalls "Der betende Jude" ("Der Rabbi von Vitebsk", 1914). Zusammen sollen sie einen Verkaufswert von 200 Millionen Euro oder mehr besitzen.

Könnte sich Brugnaro durchsetzen, stünden bald noch andere Schätze zur Disposition

Ausgewählt wurden die beiden Werke, weil sie, wie es aus dem Büro des Bürgermeisters hieß, "nichts mit der künstlerischen und kulturellen Geschichte Venedigs zu tun haben". Es handle sich bei diesen Stücken nicht um Werke von Canaletto oder Giovanni Bellini. Der Kunsthistoriker und Publizist Vittorio Sgarbi, die schillerndste Gestalt des italienischen Kulturbetriebs, wurde in einem Kommentar noch deutlicher: "Klimt ist in Venedig ein Fremdkörper, seine Bilder können sich überall befinden, in Paris wie in New York." Das ist insofern nicht richtig, als die Sammlungsgeschichte, die sich in der Anwesenheit der Bilder in Venedig verbirgt, durchaus an die Stadt gebunden ist: Das Museum Ca' Pesaro geht auf eine Schenkung aus dem Jahr 1899 zurück, die ausdrücklich an die kurz zuvor geschaffene Biennale für zeitgenössische Kunst gebunden war (Gustav Klimt war in der Biennale 1907 ein eigener Saal gewidmet) und der Avantgarde einen permanenten Ort in einer ansonsten ganz von historischen Kunstschätzen beherrschten Stadt geben sollte. Darüber hinaus wurde in vielen Kommentaren sofort bemerkt, dass ein solcher Verkauf augenblicklich eine Präzedenz eröffnete, in der bald noch ganz andere Kunstschätze zur Disposition stünden.

Die Stadt in Venedig befindet sich gegenwärtig mit mehr als 300 Millionen Euro im Minus. Das entspricht pro Einwohner einer Fehlsumme von knapp 1300 Euro. Ein großer Teil der Schulden entstand durch gescheiterte Immobiliengeschäfte und Wertkorrekturen bei den vorhandenen Liegenschaften. "Noch ist nichts entschieden, aber die finanzielle Lage ist jedem bekannt", erklärte dann auch der Bürgermeister. Es sei seine Aufgabe, die Stadt vom "tödlichen Ballast" der Schulden befreien. Dario Franceschini, der Kulturminister Italiens, erklärte daraufhin, der Vorschlag sei wohl ein Scherz, dessen Zweck darin bestehe, mehr Unterstützung vom Staat zu erbitten. Wenn das Ausland davon erfahre, werde die Debatte die Glaubwürdigkeit Italiens beschädigen. Im Übrigen sei auch Venedig an die staatlichen Regeln für den Umgang mit dem kulturellen Erbe gebunden, die auch der graduellen Auflösung öffentlicher Sammlungen widersprächen. Der Bürgermeister aber bleibt bei seiner Sicht der Dinge: "Bevor ich sterbe, weil ich ein Bild betrachten soll, verkaufe ich das Bild", sprach er, den venezianischen Dialekt benutzend.

© SZ vom 13.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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