Goya-Ausstellung in Basel:Harmonische Dämonen

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Eine Ausstellung in der Baseler Fondation Beyeler feiert Francisco de Goya als Vordenker der Moderne.

Von Kito Nedo

Als in Spanien Anfang des 19. Jahrhunderts ein grausamer, sechs Jahre langer Krieg gegen die Besetzung durch das napoleonische Frankreich wütete, schuf Francisco de Goya sein berühmtestes Werk, den 82-teiligen Grafikzyklus "Desastres de la Guerra", die "Schrecken des Krieges". Die Serie, die erst 1863 - also 35 Jahre nach dem Tod des Malers veröffentlicht wurde - machte Goya unsterblich. Düster und schonungslos setzte der Künstler mit feinen Linien das Töten und das Vergewaltigen ins Bild, genauso wie die Abstumpfung und die Verrohung der Täter. Mit dieser Serie habe Goya die moderne Kriegsfotografie vorweggenommen, urteilte Susan Sontag 1977 in ihrem Essay "Über Fotografie". Auch für die individuellen wie gesellschaftlichen Traumata, die den Gewaltexzessen folgen, fand Goya ein bis heute gültiges Bild: Eine am Boden liegende Gestalt wird von einem erdrückenden Schwarm großer dämonischer Geschöpfe mit Fledermausflügeln heimgesucht. "Die Folgen" lautet der nüchterne Titel.

Die "Schrecken des Krieges" sind Teil einer spektakulären Goya-Ausstellung mit rund 70 Gemälden und über 100 Zeichnungen und Druckgrafiken, die die Fondation Beyeler in Basel dem Werk des spanischen Meisters ausrichtet. Zwei einschneidende politische Ereignisse prägten das Leben und Werk des Jahrhundertmalers, der 1746 in der spanischen Provinz Saragossa als Sohn eines Vergolders zur Welt kam und 1828 im Alter von 84 Jahren im Exil in Bordeaux starb und als Schlüsselfigur der anbrechenden Moderne in die Kunstgeschichte einging. Zum einen war das die Französische Revolution von 1789 und die Aufklärung, zum anderen eben jene französische Besetzung Spaniens von 1808 bis 1814, gegen die sich ein brutaler Guerillakrieg richtete.

Sein Leben war eine Gratwanderung zwischen höfischen Pflichten und eigenen Interessen

Als einer der letzten Hofmaler der spanischen Krone, der jenseits seiner höfischen Pflichten ein gewaltiges eigenständiges Werk schuf, vollführte der Künstler lebenslang eine Gratwanderung. Goya war sowohl Hofmensch, Porträtist des Adels und Kirchenmaler als auch ein bürgerlicher Geschäftsmann mit aufgeklärten Interessen, der sich aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet hatte. "Als gefragter Auftragskünstler oder gar Hofmaler" darauf wies der Schweizer Kunsthistoriker Paul Nizon einmal hin, "hatte man sich mit der Macht zu arrangieren, die Erwartung war, dass man linientreu arbeitete, den Eitelkeiten schmeichelte." Überlebenswichtig war Vorsicht vor der Inquisition. "Man musste ein feines Gespür haben für das Ränkespiel und eine Nase für das politische Klima." Auch wenn manche Details in seinen Porträts heute komisch wirken: Ein heimlicher Kritiker des spanischen Hofes war Goya nicht.

Ein Schafskopf, ein blutender Lachs: Seine virtuose Malweise trifft einen wie ein Schlag

Auf dem chronologisch angelegten Rundgang trifft man auf mehrere Selbstbildnisse Goyas, zwischen denen teils mehrere Dekaden liegen. So entsteht eine Art Künstlerroman in Bildern, der von Ehrgeiz, Verletzlichkeit, Erfolg, Krise und Krankheit handelt. Als junger Maler fügt er sich 1783/84 etwa selbst in das Familienbild des Infanten Don Luis, dem jüngsten Bruder von König Karl III. ein. Die Art und Weise, wie sich Goya als malende Seitenfigur in das großformatige Familiengemälde hineinmalt, ist eine unverkennbare Hommage an sein Vorbild Diego Velázquez und dessen "Las meninas" aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Wenig später entsteht das "Selbstbildnis vor der Staffelei" (1785) mit dem charakteristischen Hut, auf dessen Krempe, wie man aus den Filmen von Konrad Wolf und Carlos Saura weiß, während der Nachtschichten Kerzen gepflanzt wurden. 1815, also 30 Jahre später, im Alter von 69 Jahren malt sich Goya als ernsten Mann mit desillusioniertem und verdunkeltem Blick. 1820 schließlich folgt das bewegend offene "Selbstbildnis mit seinem Arzt Arrieta", der ihm während einer schweren Krankheit das Leben rettete.

Die Basler Schau wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Prado in Madrid realisiert, das mit seiner Sammlung über die weltweit wichtigsten Bestände an Goya-Werken verfügt. Aus Madrid wurde etwa das legendäre, um 1800 entstandene Bild "Bekleidete Maja" nach Basel geschickt, ebenso wie das berühmte Alptraum-Bild "Hexenflug" (1797). Zu den Prado-Leihgaben kamen weitere Bilder aus Museen in Paris, London, New York und der Schweiz sowie selten gezeigte Werke aus Privatsammlungen. So kommt man etwa in den Genuss einer Folge von fünf grandiosen, um 1808-1812 gemalten mittelformatigen Lebensmittel-Stillleben. Goya malte tote Goldbrassen und Waldschnepfen, einen Schafskopf, eine tote Ente und drei blutige Lachsscheiben in einem rohen, fast unappetitlichen Zustand. So erinnert er daran, das Tiere getötet werden müssen, damit sie Mahlzeit werden können. Die virtuous-moderne, fast expressionistische Malweise dieser Bilder trifft einen als Betrachter wie ein elektrischer Schlag.

Für den französischen Schriftsteller Charles Baudelaire, der Mitte des 19. Jahrhunderts einen Essay über die "hyperbolischen Halluzinationen" Goyas schrieb, war die Kunst des Malers unter anderem auch deshalb zeitlos, weil sich in dessen Bildern etwas finden lasse, "das an die Träume erinnert, die uns regelmäßig oder zeitweilig im Schlafe heimsuchen". Und wenn es stimmt, dass die Menschen seit dem Beginn der Corona-Pandemie intensiver und verrückter träumen, um die täglichen Belastungen und Ängste zu verarbeiten, dann gehören die Grafik-Blätter, die sogenannten "Caprichos", ein zwischen 1793 und 1799 von Goya geschaffener Zyklus über die Absurditäten des Alltags trotz ihres Alters von über 200 Jahren unbedingt zur Gegenwart.

Das wohl berühmteste Blatt aus der Serie wirkt wie ein zeitgenössischer Kommentar zum Corona-Heute und dem stärker zirkulierenden Aberglauben. Es zeigt einen Menschen, der an einem Schreib- oder Zeichenpult eingeschlafen ist. Aus dem Halbdunkel über und hinter ihm erscheinen Katzen, Eulen und Fledermäuse: "Wenn die Vernunft einschläft, erheben sich die Ungeheuer" schrieb Goya in das Blatt hinein. "Goyas Verdienst ist es, dass er das Unwahrscheinliche wahrscheinlich zu machen versteht", so Baudelaire. "Seinen Ungeheuern haftet etwas Glaubwürdiges, Harmonisches an." Die Abgründe, in die man als Betrachter dieser Bilder schaut, sind kunstvoll und real zugleich.

Goya spricht zu jeder Generation wie ein Zeitgenosse

Kein anderer Künstler habe eine so ungebrochene Wertschätzung durch alle Zeiten hindurch genossen wie Goya, erklärt Martin Schwander, der Kurator der Ausstellung. "Goya spricht aber zu der jeweiligen Generation wie ein Zeitgenosse, nicht wie ein historischer Künstler." Der Bau der Fondation, durch dessen Glasdach mildes Tageslicht in die Ausstellungsräume fällt, arbeitet dieser aktualisierenden Präsentation von Goyas Kunst zu. So weicht aber auch ein Teil der Düsterkeit aus den Bildern. Der Einfluss des Spaniers auf die Kunst unserer Gegenwart wird deutlich, denkt man etwa daran, wie die Künstlerin Amelie von Wulffen Goya kunstvoll in ihr Werk hineinzitiert. Die Malerin Marlene Dumas bekannte einmal, dass sie bei ihrem ersten Besuch im Prado vor Goyas legendären, zwischen 1819 und 1824 entstandenen "Pinturas negras", die "Schwarzen Gemälde" genannt werden, "diesem sinnlichen, unheilvollen Gebräu aus Ritualismus und Exorzismus" sogar in Tränen ausgebrochen sei.

Auf eben jene Gemäldegruppe bezieht sich auch der Film "La Quinta del Sordo" ("Das Haus des Gehörlosen ") des 1964 geborenen französischen Künstlers und Filmemachers Philippe Parreno, der am Ende der Ausstellung vorgeführt wird. Parreno erhielt die Erlaubnis, Goyas "Schwarze Gemälde" im Prado während des Lockdowns im November 2020 mit einer High-Tech-Kamera aus nächster Nähe abzufilmen. Parrenos Kamera kreist so langsam über die wie noch feucht glänzenden Bildoberflächen wie eine interstellare Erkundungssonde über die Gebirgsformationen eines unerforschten Planeten. Und das ist dann doch ein sehr passender Epilog zu dieser Goya-Schau. Man fällt in diese Bilder wie in eine unheimliche Landschaft, die es zu erkunden gilt, doch ihr Geheimnis löst sich niemals wirklich auf.

Goya. Basel, Fondation Beyeler. Bis 23. Januar. Der Katalog kostet 68 Euro, das Begleitbuch 12 Euro.

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