Kunst:Liebhaber aller Länder, nichts wie hin

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Eine wunderbare Sammlung von Gemälden, von der fast niemand wusste, wurde der Bremer Kunsthalle geschenkt.

Von Willi Winkler

Nur der wahre Enthusiast bringt sich in solche Gefahr: Nach einem Bombenangriff auf die Bremer Sonnenseite an der Contrescarpe stürmte der Marineoffizier Carl Schünemann in das zerstörte Haus seiner Großeltern und rettete die "Abendwolken", ein Gemälde der Norwegers Hans Fredrik Gude. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Schünemann mit dem Wiederaufbau des Familiengeschäfts ausgelastet, verlegte in seinem Hause wohl auch viele Kunstbände, aber richtiger Sammler wurde er erst um 1970, als er begann, sich mit sorgsam ausgewählten niederländischen (gar nicht so kleinen) Meistern des 17. Jahrhunderts wie Jacob Ochtervelt und Willem van Odekercken zu umgeben.

Fast niemand wusste von dieser Sammlung. Schünemann protzte nicht mit ihr, seine größte Leidenschaft, hat er der taz vor Jahren gesagt, sei ohnehin nicht das Horten von Bildern, sondern das Dampfbootfahren: "Ich schaufle gern Kohlen." Jetzt, mit 84 Jahren und nach einem vermutlich schaufelreichen Leben, hat Schünemann 34 erlesene Holländer aus seiner Sammlung der Bremer Kunsthalle geschenkt, die diese Glücksgabe in der Ausstellung "Tulpen. Tabak. Heringsfang" stolz präsentiert.

Es regierten die Bürger, und so erfreuten die Maler das Auge mit Stilleben und Seestücken

Anders als Böhmen liegt Bremen recht nah am Meer, der beständige Wind von der See her kühlt das Gemüt, die Verbindung zu den Brüdern und Schwestern weiter draußen am Ozean ist nie abgerissen, schließlich profitierte man vom weltumspannenden Handel der Niederlande. Die Holländer beherrschten im 17. Jahrhundert die Weltmeere, die Ostindische Kompanie operierte als Globalkonzern, die Tulpen-Spekulation war Ausdruck frühkapitalistischer Gier, die ein ganzes Land erfasste. Der überseeisch erwirtschaftete Reichtum wurde zu Hause auch in Kunst investiert. Die Herrschaft suchte nach Repräsentation, das Geld wollte veredelt sein; die Maler malten es schön.

Doch es regierten die Bürger, und so kamen die frommen Motive aus der und Landschaften und Genreszenen in Mode. Die überlieferte Maria mit dem Kinde wird bei Adriaen van Ostade 1667 zu einer einfachen Bauernfrau, die ihr herrlich rundgesichtiges Kind vorführt. Kein Cherub steht ihr bei, kein Täuferjohannes, sondern an der nur unzureichend verputzten Wand hängt eine Kehrschaufel, drunter lehnt der Besen, der Putzlappen trocknet über der Führstange vor der Haustür. So stolz sie ihr Kind präsentiert, es ist kein Jesusknabe, und diese so irdisch glückliche Mutter wird gleich wieder an die tägliche Arbeit gehen. Nur der Wein, der überm Vordach sprießt, könnte Symbolisches andeuten und an die biblische Muttergottes erinnern, sonst ist alles Wirklichkeit.

Um 1650 wirkten an die siebenhundert Maler in den Niederlanden, erfreuten das Auge mit Stillleben, Seestücken, mit Idyllen aus der Kleinen Eiszeit. Aert van der Neer hält schnappschussgenau einen zufälligen oder vielleicht auch typischen Augenblick fest. Zu Gudes "Abendwolken", die weiter in einer Privatsammlung verbleiben, gesellt sich die "Flusslandschaft bei Mondschein", ein früher Caspar David Friedrich, aber nicht deutsch-mystisch, sondern ganz holländisch. Die Fischer fischen, die anderen holen das Segel ein, der weißgraue Himmel mit einem hinter dem Haus verborgenen Mond vermählt wirklich Land und Meer. Ein Paar, ganz von hier, spaziert völlig unhöfisch in diese Szenerie, die man auch Heimat nennen könnte. Nirgends aber eine auftrumpfende Nachtwache, kein Goldhelm, kein Ratsherr im steifen Kragen, es ist das Leben, sonst nichts, doch was für ein Licht!

Auf einem weiteren Bild van der Neers sind die Seen und Kanäle zugefroren, und wieder ist es Abend, diesmal bei unbestimmtem Himmel, in jedem Fall mit Eisvergnügen. Das Volk wagt sich vereinzelt hinter der Barriere aufs Eis, drei Männer spielen oder tanzen fast Kolf (eine Mischung aus Golf und Eishockey), ein Fischer müht sich rechts am Eisloch, während sein Pendant links in aller abendstillen Ruhe defäkiert.

Abgemalte Tabaksreklame - so kommt die Kunst ins Kontor und wieder heraus

Wie sollte zu dieser Feinmalerei ausgerechnet Reklame passen? Aber es geht, und wie! Hubert van Ravesteyn malt 1670 ein schulmäßiges Stillleben. Der Steingutkrug glänzt, im Römer spiegelt sich ganz zart das Licht, die Walnüsse in der Porzellanschale sind fast zum Stehlen plastisch, doch erst die Tonpfeife, diagonal ins Bild gesetzt, gibt dem Bild seinen ganzen Sinn. Gestopft wird sie mit "Orien Tael Vergins Taback", echtem Virginier also, wie ihn noch Bertolt Brecht qualmte, hier vertrieben, wie die sorgfältig abgemalte Aufschrift auf dem Tabaksbeutel besagt, vom Dordrechter Kaufmann Gerrit Marschael. So kommt die Kunst ins Kontor und wieder heraus, und in Bremen sogar in die Kunsthalle. Ein unbekannter Jan van Goyen ist jetzt da zu sehen, eine "Serenade" von Jacob Ochtervelt mit einem Seidenkleid, das jeden Ehebruch rechtfertigt, ein Stillleben mit Totenkopf und wieder einer Pfeife von Jan Davidsz. de Heem und noch mehr.

Es ist eine Wunderkammer, die sich in der Bremer Kunsthalle auftut. Liebhaber von Tulpen und Tabak, Heringsconnaisseure, überhaupt Enthusiasten aller Länder sollten hin, eh es Abend wird.

Tulpen. Tabak. Heringsfang. Niederländische Malerei des Goldenen Zeitalters. Kunsthalle Bremen. Bis zum 26. August. Katalog 29 Euro.

© SZ vom 19.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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