Kunst:Hermann Nitsch

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Rekonstruktion von Nitschs 20. Malaktion in Ingolstadt (Foto: Daniel McLaughlin, VG Bildkunst 2019)

Von WILLI WINKLER

Vernissagen sind auch nur so gut wie der Wein, der zur Kunst ausgeschenkt wird. Der Nitsch erfüllt die wichtigsten Bedingungen: Er trinkt sich mühelos weg, wobei sich im Abgang jene feinherbe, ins Säuerliche tendierende Note meldet, die den bloß kulinarischen Genuss am zu beschauenden Werk verhindert. Blut, sehr viel Blut läuft die Wände herunter, auch am Boden dieses schöne, tiefe Rot auf weißem Tuch, hochsymbolisch verstärkt durch eine golddurchwirkte Kasel und das eine oder andere Kreuz.

Es handelt sich ohne Zweifel um Kunst oder vielmehr um ein Werk von Hermann Nitsch, der nicht immer Winzer war, sondern seit den Fünfzigern die lieben Österreicher schockierte. Im Alf-Lechner-Museum in Ingolstadt ist nun bis 23. Juni die Rekonstruktion einer gut dreißig Jahre alten Aktion in der Wiener Secession nachgebildet: riesige Schüttbilder, alle Wände voll, der reine Blutrausch, gegen den anzukommen sich draußen ein saharastaubroter Sonnenuntergang vergeblich abmüht. "Form ist alles", hat der Künstler seine Premierengäste belehrt, "Inhalt ist was für Experten, für Kunsthistoriker."

Sonst ist der Nitsch, der Künstler diesmal, nicht ganz so eingängig und farb- und blutberauscht: Sensible Gemüter werden vorgewarnt. Unter dem bescheidenen Titel "Das Gesamtkunstwerk" wird die Palette des Künstlers präsentiert: seine Farben, seine Musik, andeutungsweise auch Gerüche, die es zum ganzheitlichen Erleben seiner Kunst braucht. Zu Fürchten gibt es trotzdem nichts, es wird kein Tier geschlachtet, kein entblößter Frauen- oder Männerleib am Kreuz hochgezogen oder in der Wärme eines frisch aufgeschnittenen Kadavers geborgen, aber es gibt Fotos dieses Nitsch'schen "Orgien Mysterien Theaters", das Nichtinitiierte regelmäßig erregt hat. Das Skandalöse ist ferngerückt, die radikale Moderne durch den schnöden Lauf der Welt historisiert. Eine Besucherin erkennt entzückt den noch jugendlichen Leib eines verschwägerten Ekstatikers, der einst mit so viel Freude am Exzess beim Hermann-Nitsch-Mitmach-Theater dabei war. "Kunst ist Seinsfindung schlechthin", gibt der Künstler seinen Verehrern noch mit auf den Weg, aber der Wein ist auch gut.

© SZ vom 06.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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