Kunst:Duell der Deutungen

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Perspektivwechsel: Eine Ausstellung in Haifa versammelt Werke von Israelis und Palästinensern.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Proteste und Druck gab es im Vorfeld, erzählt Kuratorin Inbar Dror Laks über die Ausstellung 1948 im Stadtmuseum von Haifa. Denn in diesem Jahr wurde der Staat Israel gegründet, für die Palästinenser ist damit Nakba, die Katastrophe, verbunden: die Vertreibung von rund 600 000 Palästinensern. Es begann aber auch die militärische Auseinandersetzung, die die Israelis Unabhängigkeitskrieg und die Palästinenser arabisch-israelischen Krieg oder Palästinakrieg nennen.

Ein Gesetz will Museen darauf verpflichten, Israel nur in günstigem Licht darzustellen

Das besondere an dieser Ausstellung ist, dass sie die Sichtweisen auf beiden Seiten präsentiert - und auch die Traumata, die durch Krieg und Vertreibung entstanden sind. "In einer Stadt wie Haifa muss man die komplette Geschichte erzählen. Wir haben uns entschlossen, das über diese Ausstellung zu machen. Ich hatte das Gefühl, eine heiße Kartoffel anzufassen", erklärt die Kuratorin, die mit Majed Khamra für die Konzeption verantwortlich ist.

In Haifa, der drittgrößten Stadt in Israel, sind rund zehn Prozent der Bevölkerung arabische Israelis. "Der Krieg endete nie. Jede Seite kämpft weiter. Diese Ausstellung ist eine schmerzhafte Auseinandersetzung. Wir haben den Versuch unternommen, allen Stimmen und Perspektiven in diesem Museum eine Plattform zu geben", sagt Dror Laks.

Es gab Künstler auf beiden Seiten, die nicht wollten, dass ihre Werke gezeigt werden. Israelische Künstler wollten nicht neben arabischen präsent sein - und umgekehrt. Manche hatten Angst, dass ihre Arbeiten als zu politisch aufgefasst werden.

Besucher werden am Beginn des Rundgangs darüber informiert, dass man die Reduktion auf "ein einziges Narrativ" ablehne. 42 Werke von jüdischen Künstlern und von Palästinensern, die in Israel leben, werden auf zwei Stockwerken gezeigt. Auf Werke von Palästinensern, die im Westjordanland oder Gazastreifen leben und arbeiten, wurde verzichtet, weil es schwierig gewesen wäre, die erforderlichen Genehmigungen zu bekommen.

Im Erdgeschoss werden Arbeiten von Künstlern gezeigt, die 1948 und die Folgejahre selbst erlebt haben. Die Werke der israelischen Künstler zeigen heroische Darstellungen, aber auch die andere Seite des Kriegs wie Marcel Janco in seinem Werk "Der verwundete Soldat", das 1948 entstanden ist. Mehrere Kunstwerke halten die Augenblicke nach dem Tod eines Soldaten fest: etwa Ruth Schloss' 1953 entstandenes Bild "Mutter und Kind" sowie Naftali Bezems 1957 entstandenes Werk "Mutter am Grab ihres Sohnes".

Diesen Darstellungen wird die andere Sichtweise gegenübergestellt: Jene des arabischen Künstlers Abed Abdi, der 1941 in Haifa geboren wurde, mit seinen Eltern in den Libanon floh und im Alter von zehn Jahren zurückgekehrt ist. Er war einer der ersten Künstler, der in einer Art historischem Archiv die palästinensischen Erfahrungen von Flucht und Vertreibung thematisiert hat.

Im größeren Raum im ersten Stock sind Arbeiten ausgestellt, die auch Zweifeln israelischer Künstler, die ihren Wehrdienst geleistet haben, Platz lassen. Das Werk von Hamody Gannan zeigt einen zweigeteilten Soldaten mit dem Titel "Wie ich wünsche". Michael Halak hat ein Selbstporträt von sich als Soldat gemalt, das eine eher düstere Stimmung erzeugt. Der Illustrator Ido Bak hat in seinem schlicht "Haifa" genannten Bild Szenen einer Razzia von israelischen Soldaten in einem arabischen Viertel dargestellt - mit vielen, fein gezeichneten Details.

Das Bild, das nach Auskunft der Kuratorin "für die meisten Proteste sorgt", ist das Werk von Eliahou Eric Bokobza. Der in Frankreich geborene Künstler tunesischer Abstammung lebt in Tel Aviv und zeigt einen Soldaten, der auf eine Frau mit Kopftuch und ein Kind, das sie im Arm hält, zielt. Die meisten Besucher erkennen darin eine Anspielung auf die israelische Besatzung im Westjordanland, auch wenn der Künstler nach Auskunft der Kuratorin in seinem "Böse" genannten Werk nur eine allgemeine Kriegsszene darstellt.

Zu den stärksten Arbeiten gehören zwei Videoarbeiten von Lamis Ammar, die durch das Holocaust-Mahnmal von Berlin gehend die Geschichte der Vertreibung ihrer Familie in Palästina erzählt. Damit nimmt sie Bezug auf die jüdische Vertreibung während der Nazi-Zeit - eine heikle Referenz. Das Werk heißt "Ohne Titel wegen des Gesetzes". Denn ursprünglich wollte sie es "Nakba Stufen" nennen. Aber in Israel erlaubt ein 2011 beschlossenes Gesetz dem Finanzministerium, staatliche Förderungen für Institutionen zu kürzen, die die Nakba darstellen.

Die Arbeiten an der Ausstellung begannen, als Kulturministerin Miri Regev ihr noch nicht beschlossenes "Loyalitätsgesetz" vorantrieb, wonach nur künstlerische Angebote gezeigt werden dürfen, die Israel in positivem Licht darstellen. Außerdem gab es in Haifa zuletzt Ausschreitungen gegen ein im Kunstmuseum gezeigtes Werk, das ein gekreuzigtes Maskottchen von McDonald's zeigte - und schließlich abgenommen wurde. Ob sie Angst vor solchen Protesten habe? "Ich habe schlaflose Nächte. Aber ich bin überzeugt davon, dass man die Geschichte in einer gemischten Stadt wie Haifa nicht nur aus einem Blickwinkel darstellen kann", antwortet die Kuratorin.

© SZ vom 31.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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