Kunst:15 Minuten Ruhm

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Mit Warhols Erlaubnis vermehrte der Direktor des Moderna Museet in Stockholm eigenhändig die Exponate der Schau. (Foto: Lasse Olsson)

1968 fand im Moderna Museet in Stockholm eine sagenhaft improvisierte Ausstellung von Andy Warhol statt. Das Museum hat die eigene Schau nun 50 Jahre später rekonstruiert.

Von Thomas Steinfeld

Im Februar 1968, zwei Tage vor Eröffnung der ersten Ausstellung, die Andy Warhol außerhalb der Vereinigten Staaten gewidmet wurde, sandte Pontus Hultén, der Direktor des Modernen Museums in Stockholm, ein Telegramm nach New York: "Wir können drei Tickets bezahlen, wenn Sie zu den Einkünften des Museums beitragen, indem Sie einen weiteren Siebdruck mitbringen - Stop - die Schau sieht sehr gut aus - Stop - Filme sind noch nicht angekommen - Stop - Bitte wenn möglich Ersatzfilme mitbringen - Stop."

Am Tag danach kam Andy Warhol in Stockholm an, zusammen mit seinem "Superstar" Viva und seinem Regisseur Paul Morrissey. Filme hatte er nicht dabei. Eigentlich hätten sie neben die Drucke projiziert werden sollen. Hultén trieb irgendwo einen Film über Zirkuselefanten auf, der stattdessen gezeigt wurde. Auch die angekündigten silberfarbenen Ballons, von Warhol "Silver Clouds" genannt, blieben aus. Sie wurden durch aufgeblasene, transparente Plastiksäcke ersetzt. Und selbstverständlich fehlten die "Velvet Underground", Warhols Hausband. An ihrer Stelle spielte zur Eröffnung eine schwedische Combo namens "Pärson Sound".

Der berühmteste Satz von Andy Warhol taucht im Katalog auf - aber ist offenbar nicht von ihm

Dass eine solche Ausstellung nicht in London oder Paris und schon gar nicht in einer deutschen Großstadt ausgerichtet wurde, mag damit zu tun haben, dass Schweden damals das modernste Land Europas war. Aus dem Zweiten Weltkrieg mit einer intakten Industrie hervorgegangen, unabhängig von Dollarkrediten und in hohem Maße technisiert, stand Schweden im Wettbewerb der Nationen unmittelbar den Vereinigten Staaten gegenüber - und war zudem, obwohl wirtschaftlich ganz und gar mit dem Westen verflochten, politisch neutral. Im Jahr 1964 schon zeigte das Moderne Museum eine Ausstellung amerikanischer Pop Art. Die Musikgesellschaft "Fylkingen" brachte John Cage und Nam June Paik nach Schweden und betrieb die Gründung eines Studios für elektronische Musik ("EMS"). Außerdem gab Jimi Hendrix 34 Konzerte zwischen 1967 und 1970 in Schweden. In Deutschland trat er währenddessen kaum mehr als halb so oft auf.

Im Stockholmer Modernen Museum ist gegenwärtig eine Ausstellung zu sehen, in der die Schau des Jahres 1968 in großen Teilen rekonstruiert ist, mit zehn "Flower Paintings" und zwölf "Electric Chair Paintings", mit Siebdrucken von Marilyn Monroe und von Mao, mit Brillo-Boxen in mehreren Varianten, mit den Plakaten, die damals für die Ausstellung warben und die alle nur je einen Satz von Andy Warhol enthalten, zum Beispiel: "All is pretty". Der Film "Chelsea Girls" wird gezeigt. Die Darbietung erhebt keinen hohen theoretischen Anspruch. Sie will den frühen Andy Warhol nicht erklären, sondern ein historisches Tableau entfalten. Das gelingt ihr, zur Musik der "Velvet Underground", die aus Lautsprechern übertragen wird, wie damals. Im Grunde ist diese Ausstellung eine Art Wiederaufnahme zu den vielen Fotoserien, die es von Andy Warhol und seiner Entourage gibt, eine Spiegelung, nur um 50 Jahre in die Zukunft versetzt.

Zur Ausstellung gehört ferner einerseits die Resonanz, die Andy Warhol damals in der schwedischen Öffentlichkeit erfuhr, andererseits der improvisierte Charakter der Schau - und damit der radikale Kontrast zu der vom Kunstmarkt wie von der Kunstgeschichte streng ritualisierten Verehrung, die Andy Warhol und seinem Werk heute zuteil wird. In der Rezeption überrascht, rückblickend betrachtet, die Gebundenheit an einen aufklärerischen Impetus in der Kunst: bei den vom Modernen Museum befragten schwedischen Künstlern, die unisono von der "Banalisierung" sprechen, die in Andy Warhols Werken liege, ebenso wie bei den Kritikern, von denen die freundlichen ihn zu einem "intensiven, desillusionierten Wahrheitssucher", also zu einem Existenzialisten erklären, während die unfreundlichen ihn für einen Widerling halten. "So, wie ein Wort seinen Sinn verliert, wenn man es oft genug ausspricht", meint der Kritiker der Dagens Nyheter, Schwedens größter Zeitung, "verlieren seine Bilder bald jeden Ansatz einer Bedeutung, die es zu Beginn gegeben hatte ... Warhol flößt mir Widerwillen ein." Größer könnte ein Missverständnis nicht sein: Wie sollte die Andacht, die Warhol der absoluten - das heißt: der von ihrem Gebrauchswert befreiten - Ware entgegenbringt, auf etwas Sinnloses verweisen? Im Gegenteil: die Ware ist der Sinn.

Allem Anschein nach hat vor 50 Jahren der Widerstand der Öffentlichkeit die Organisatoren der Ausstellung beflügelt: Wer auf so viel Protest stieß, musste etwas Richtiges tun, weshalb es, im Bewusstsein der guten Sache, als angemessen erschienen sein mag, die Exponate zu vermehren - Warhols Anwesenheit in Stockholm reichte als Autorisierung aus. "Why don't you make them there", soll der Künstler zu Hultén gesagt haben. Und weil es zu teuer war, die vom Künstler geschaffenen oder in New York verwendeten Brillo-Boxen nach Schweden zu schaffen, bestellte der Museumsdirektor 500 faltbare Originalkartons aus Pappe direkt aus der Fabrik und ließ zusätzlich, nach Beendigung der Ausstellung, in Malmö noch einige Boxen aus Sperrholz anfertigen - denen mehr als 20 Jahre später eine weitere Bestellung von 100 Boxen folgte, obwohl Warhols Nachlassverwaltung alle vom Künstler selbst gegebenen Zusagen, seine Werke zu reproduzieren, widerrufen hatte. Einige dieser "Kopien" - genauer: nicht-autorisierten und zum Teil von Hultén mit der falschen Jahreszahl "1968" ausgezeichneten "Originale" - trieben sich danach als "Stockholm Type" auf dem Kunstmarkt herum und erzielten Preise von bis zu 200 000 Dollar. Betrügerische Absichten möchte man Hultén jedoch nicht unterstellen: Er und einige seiner Mitarbeiter, der Kurator Kasper König etwa, müssen Teil der Gemeinde gewesen sein, die zu Warhols Arbeit gehörte und in der sich seine Arbeit spiegelte.

Und als wäre diese Geschichte noch nicht abenteuerlich genug, wird in der Stockholmer Ausstellung auch erzählt, wie der Katalog zustande kam: Er war von Kasper König in New York vorbereitet worden, enthielt Bildsuiten zum Leben und Arbeiten Andy Warhols sowie der New Yorker "Factory" und wurde, mit einem Umfang von 604 Seiten und als Zeitung aufgemacht, in der Druckerei einer Provinzzeitung in Småland hergestellt. So groß war der Bedarf, dass er mehrfach nachgedruckt werden musste. Diesem Katalog ist der berühmteste Satz Andy Warhols zu verdanken. Olle Granath, damals Kunstkritiker und später Nachfolger Hulténs, hatte die Texte redigiert - und Hultén war auf der Suche nach einem schlagkräftigen Zitat. So etwas wie: "in Zukunft wird jeder für fünfzehn Minuten berühmt sein". "Hätte ich einen solchen Satz im Material gesehen, hätte ich ihn aufgeschrieben", soll Granath geantwortet haben, worauf Hultén erklärt habe: "Auch wenn er es nicht gesagt hat, hätte es er sehr gut sagen können. Wir nehmen den Satz." Er passt zu Filmen, die nicht ankamen, zu Plastiksäcken, die als Ballons durchgingen, und Boxen, die in beliebiger Zahl nachgebaut werden konnten.

Im Juni 1968 wurde Andy Warhol von Valerie Solanas, einer ehemaligen Mitarbeiterin, angeschossen und schwer verletzt. Auf die lange Rekonvaleszenz folgte eine Änderung des ästhetischen Programms: An die Stelle von Projekten, die noch Kunst sein sollten, trat das gesellschaftliche Leben als höchster Zweck des Daseins, wiederum von allen äußerlichen Zwecken befreit. Ihm hätte man diese Ausstellung nicht mehr widmen können. Dazu besitzt sie entschieden zu wenig Glamour.

Warhol 1968 . Moderna Museet, Stockholm. Bis 17. Februar. Infos unter www.modernamuseet.se

© SZ vom 05.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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