Kulturszene:Auch ziemlich schön

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Alles, was die Stadt bisher schon an Musik oder Kunst zu bieten hatte, steht derzeit im Schatten der Elbphilharmonie. Dabei haben Museen, Theater und Musikclubs einiges zu bieten und müssen sich neben der "Neuen" nicht verstecken.

Von Peter Burghardt

Sich über die Elbphilharmonie zu beschweren, findet Amelie Deuflhard so sinnvoll, wie das Meer anzuschreien. Die Intendantin der international angesehenen Kulturfabrik Kampnagel in Hamburg-Winterhude hält ohnehin nicht viel von Feindbildern. Auch wenn das pompöse Luxus-Konzerthaus im Hafen auf den ersten Blick das glatte Gegenteil ist von der kreativen Kampnagel-Vielfalt - Amelie Deuflhard lehnt die Elbphilharmonie nicht ab. Im Gegenteil. Erst kürzlich haben Kampnagel und Elbphilharmonie zusammen das Festival "Greatest Hits" veranstaltet.

Trotzdem hat Amelie Deuflhard Bedenken. Der Medien-Hype um die Elbphilharmonie ist ihr zu groß. Der Rest der Hamburger Kulturszene verschwindet daneben fast. "Das", sagt sie, "ist ein bisschen problematisch für die anderen Akteure."

In diesen Tagen kann man manchmal den Eindruck gewinnen, als sei ganz Hamburg eine einzige große Elbphilharmonie. Wenn Michel und Hafen die Köpfe zusammenstecken könnten, würden sie vermutlich ausführlich lästern über die Neue im Stadtensemble, die allen den Kopf verdreht. Und der Kulturbetrieb in der Hansestadt muss befürchten, die Aufmerksamkeit zu verlieren, die er verdient.

So vielfältig und lebendig ist der nämlich, dass es fast wie eine Irreführung wirkt, immer nur über die schöne Elphi zu reden. Gut 60 Museen, etwa 45 Theater, um die 20 Kinos und 150 kleine und große Musikclubs zählt die Hamburger Kulturbehörde, und natürlich weiß sie, was sie daran hat. "Die Förderung von Kultur ist ein unverzichtbarer Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge und macht eine kulturelle Vielfalt und Lebendigkeit jenseits marktgesteuerter Interessen erst möglich", heißt es in der Einleitung zum 262 Millionen Euro schweren Kulturetat der Hansestadt im Haushalt 2015 / 16. Es gibt ein Leben neben der Elbphilharmonie. Zuletzt hat die Stadt zum Beispiel beschlossen, 500 000 Euro aus dem Musikstadt-Fonds vor allem auf freie Musikschaffende zu verteilen.

Ein blühender Dschungel kreativer Ausdrucksformen ist hier gewachsen

Hamburg sieht sich als weltoffene Handelsmetropole. Bürgerliches Engagement und Einflüsse aus der Ferne haben die Entwicklung der Stadt geprägt, das hat sie zu einem blühenden Dschungel kreativer Ausdrucksformen wachsen lassen. Früher im Jahr haderten viele Hamburger, weil der Spitzensport an der Alster mächtige Rückschläge verzeichnete: Olympia-Bewerbung am Bürger-Votum gescheitert. Der Eishockey-Verein vom amerikanischen Inhaber abgezogen. Der Handball-Bundesligist pleite. Und die Bundesliga-Fußballer des ehemals ruhmreichen HSV hinken beharrlich ihren Ansprüchen hinterher.

Aber als Kulturstadt plagen Hamburg keine Abstiegsängste. An wenigen anderen Orten kann man so gut beobachten, wie Kunst einerseits ein Werkzeug basisdemokratischen Schaffens ist, andererseits eine Geldmaschine. Die Übergänge sind teilweise fließend: Der FC St. Pauli ist ein modernes Fußballunternehmen, aber auch eine Plattform urbaner Identität, auf der man gegen Gentrifizierung und Ausverkauf kämpft. Dann wiederum wirken die Kontraste sehr scharf.

An der Reeperbahn blinken die Unterhaltungs-Theater des Gleichstellungs-Aktivisten Corny Littmann. Am anderen Ufer der Elbe im Hafen leuchten die Musical-Häuser der Firma Stage Entertainment, die in Dauerschleife "Der König der Löwen" und "Das Wunder von Bern" spielen. Aber Hamburg beherbergt eben auch das Deutsche Schauspiel-Haus und das Thalia-Theater, zwei maßgebliche Bühnen im deutschsprachigen Raum. Das konsumkritische Underground-Milieu ist hier rege mit Konzerten, Aktionen, kreativem Protest. Das besetzte frühere Musical-Theater Rote Flora könnte man fast die Elbphilharmonie der linksaktivistischen Querdenker-Szene nennen.

Und Kampnagel ist ohnehin eine eigene Welt. Die Hallen der ehemaligen Kranfabrik sind nicht nur ein Gastspielhaus für internationale Tanz-, Musik- und Theatergruppen. Sondern auch ein Ort, der in Debatten und Experimenten gesellschaftliche Wirklichkeiten aufgreift. Die Lampedusa-Gruppe und andere Flüchtlinge haben ihren Überlebenswillen hier in Aktionen gießen können. Auf dem Veranstaltungsschiff MS Stubnitz hat der Kampnagel-Partner "Geheimagentur", ein Kollektiv aus Performance-Künstlern, kürzlich Denkanstöße zum Recht auf Meer und eine alternative Hafenwirtschaft inszeniert.

Kultur ist für Hamburg auch so etwas wie ein Wiederbelebungsprogramm - gerade unter der kürzlich verstorbenen Kultursenatorin Barbara Kisseler war sie das: Das neue Gängeviertel in der Innenstadt gehört zu Kisselers Vermächtnis. Vor wenigen Jahren war das Viertel vom Verfall bedroht, heute ist es ein beliebter Ort für Konzerte und Lesungen. Außerdem hat Barbara Kisseler noch das internationale Festival "Theater der Welt" für 2017 nach Hamburg gebracht. Daraus darf man schließen, dass die Stadt ihren Kunstsinn nicht nur auf die Elbphilharmonie richtet. Auch Amelie Deuflhard lobt Hamburg für "seine sehr diverse, funktionierende Kulturlandschaft". Und sie klingt grundsätzlich zufrieden mit den Möglichkeiten des Standortes.

Wachsam will sie trotzdem sein in diesen Zeiten der Elphimania. Amelie Deuflhard sieht das Risiko, dass viele Leute über die Ereignis-Architektur der Elbphilharmonie ein einseitiges Bild von Hamburg bekommen. "Die Befürchtung ist, dass die Kunst neben der Elbphilharmonie unwichtiger wird, weil viele glauben, es reiche schon, dorthin gegangen zu sein", sagt sie. Sie will diese Befürchtung nicht auf die leichte Schulter nehmen. "Man muss umsichtig daran arbeiten, sich dagegen zu behaupten."

© SZ vom 08.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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