Kulturgeschichte der DDR:Abreißen macht schön

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Glasblumen, Marmorboden, Traumbilder: Die Kunsthalle Rostock versucht mit einer großen Ausstellung den vielen Erinnerungen an den Palast der Republik in Berlin gerecht zu werden.

Von Jens Bisky

Gut vierzehn Jahre war der Palast der Republik in Betrieb und dann für lange sechzehn Jahre ein Sanierungsfall in der Mitte Berlins, ein meist leer stehendes Gebäude, bis nach den heiteren Monaten der Zwischennutzung im Februar 2006 der Abriss begann. Der Republikpalast diente der Herrschaftsinszenierung in Erich Honeckers DDR, gehörte selbstverständlich zum Ost-Berliner Alltag, wurde Schauplatz der Revolution von 1989/90 und dann ein Ort, mit dem die jungen urbanen Milieus der Berliner Republik die Hoffnung verbanden, es müsse doch etwas anderes möglich sein als das Humboldt-Forum im wieder errichteten Schloss.

Eine Ausstellung in der Kunsthalle Rostock versucht nun, den vielen Geschichten, Erinnerungen, Perspektiven gerecht zu werden. Vor dem Eingang steht das Teilstück eines Reliefs, das einst das Foyer der Volkskammer im Palast zierte. "Lob des Kommunismus" hieß das Monumentalwerk des Bildhauers Jo Jastram. Es hat die Demontage in den Neunzigerjahren schlecht überstanden, wurde grob zerteilt und achtlos gelagert, als käme es nicht darauf an, als sei es nicht von Bedeutung für das vereinte Land. Teile des Reliefs gingen verloren. Dass ein beschädigtes Fragment nun vor der Kunsthalle Rostock steht, charakterisiert die Haltung der von Elke Neumann kuratierten Ausstellung: Es soll etwa geborgen und gezeigt werden, ohne vorschnell zu verdammen oder zu verklären.

Im Inneren des Hauses - es handelt sich um den einzigen Kunstmuseumsneubau aus vierzig Jahren DDR - sind Möbel und Geschirr zu sehen, Gemälde aus der Palastgalerie (Motto: "Dürfen Kommunisten träumen?"), Werke aus den Konferenzsälen (Motto: "Die Vielfalt der Republik mit ihrer landschaftlichen Schönheit und ihren Menschen"), viele Fotografien, Videos und neue Kunstwerke. Das Spektakulärste unter ihnen ist wohl Fred Rubins Skulptur "Palast Bar Transfer". Rubin hat die Rundbar aus dem Foyer im 3. Stock mit einer Rotationsmaschine verbunden.

Die Asbest-Belastung verband die Renommierbauten in Ost und West aufs Innigste

Dass der Palast der Republik für Künstler ohne Staatsauftrag von oben noch einmal interessant werden würde, hätte in den späten Achtzigern in Ost-Berlin kaum einer vermutet. Das 1976 eröffnete Riesenhaus mit Marmorblöcken und bronzefarbenen Thermoglasflächen war gut besucht, galt aber doch als Attraktion für die Besucher aus dem Rest der Republik. Andrea Pichl, damals in der Prenzlauer-Berg-Künstlerszene aktiv, fand den Palast, die offizielle Vergnügungsstätte der Braven, uninteressant. Da wollte man nicht hin. Unter dem Titel "weilweilweil" hat sie ihn nun verkleinert nachgebildet aus Karton und 138 Punk-Kassettencovern.

Die Architektur, verantwortet von einem Kollektiv unter Heinz Graffunder, war nicht schlechter als anderswo. Im Vergleich mit dem Kongresszentrum ICC in West-Berlin fallen über die Systemgrenzen hinweg vor allem Gemeinsamkeiten auf: die Vorliebe fürs Übergroße, für kräftige Farbigkeit und modernste Kommunikations- wie Raumverwandlungstechnik, die Inszenierung von Gesellschaft als Großereignis, das Ineinander von Funktionen, die Tatsache, dass der tägliche Betrieb beider Häuser teuer war und beide nach dem Mauerfall zu Problemfällen wurden, weil man in beiden Fällen für Hitze- und Korrosionsschutz Asbest genutzt hatte.

Deswegen wurde der Palast der Republik im September 1990 geschlossen, dann ab 1997 von Asbest befreit und dabei in den Rohbauzustand versetzt. In diesem, als Skelett, bespielten ihn ab dem Frühjahr 2004 Künstler, Kuratoren, Musiker. Sie verwandelten die Palast-Ruine in einen Ort für Party, Kunst- und Selbstgenuss, für Improvisation und Projektemacherei. Kein anderes Vorhaben demonstrierte so erfolgreich den neuen Unternehmungsgeist, die gelassene Aufbruchstimmung, die in der vereinten Stadt nach der Jahrtausendwende herrschte. 650 000 Menschen kamen zu den verschiedenen Ausstellungen und Veranstaltungen. Die Stadtgesellschaft eroberte sich einen Raum, in dem ihr vorher vor allem die Rolle des applaudierenden Publikums zugedacht war. Weil dennoch stur am Abriss festgehalten wurde, wird der Palast seitdem vor allem als Ort der vertanen Möglichkeiten erinnert.

Mit dem Abriss werden Gebäude schön, sie entfalten ein Eigenleben in der Imagination, profitieren von der Poesie des Verschwundenen. Besonders gelungen ist die Rostocker Ausstellung dort, wo sie den Erinnerungen und der künstlerischen Nachnutzung Informationen an die Seite stellt. Etwa die, dass über die Baukosten des Palastes bis heute spekuliert wird. Kostete er 250 Millionen DDR-Mark? Oder gar eine Milliarde? Die jährlichen Betriebskosten lagen bei 120 Millionen Ostmark, 30 Millionen brachten Kartenverkäufe, Vermietungen, Gastronomie ein. Die Differenz beglich der Staat.

Das Haus war Sitz der Volkskammer, Ort der SED-Parteitage sowie Kultur- und Gastropalast

Bis 1990 besuchten über sechzig Millionen Menschen das Haus, das Sitz des DDR-Parlaments Volkskammer, Kultur- und Gastro-Palast zugleich war. Die Zahl wirkt sehr hoch in einem 17-Millionen-Land. Wahrscheinlich hieß in der DDR zu leben auch, ein paar Mal in den Palast der Republik zu gehen. Er war ein Großbetrieb mit etwa 1800 Mitarbeitern, die Leitung lag bei Nomenklaturkadern des Ministerrats. Über die täglichen Abläufe, die Programmplanung und Überwachung wissen wir immer noch zu wenig. Der Arbeitsalltag ist gewiss ebenso aufschlussreich für die Erinnerung an den Palast wie die viel beschriebene Konstruktion des sechseckigen Großen Saals, der mittels Hebebühnen verändert werden konnte, Platz für 1000 oder 4500 Menschen bot.

Die Rostocker Ausstellung zeigt vor allem Kulturgeschichte. Wenn im kommenden Jahr das Humboldt-Forum im Schlossneubau eröffnet und die Besucher über die Geschichte des Ortes informiert, dann will man gewiss nicht nur die Glasblume aus dem Foyer sehen, sondern auch etwas über den Ort der politischen Geschichte erfahren, über die Rolle des Gebäudes in der Selbstdarstellung der DDR. Es war auf Briefmarken und dem 100-Mark-Schein zu sehen, hier fanden die Parteitage der SED statt, die bis zur Revolution wichtiger waren als die Volkskammersitzungen, hier wurde am 23. August 1990 der Beitritt zur Bundesrepublik beschlossen.

Der Spiegelglas-Riegel an der Spree vollendete das sozialistische Zentrum, dessen Gestaltung 1950 mit der Schloss-Sprengung begonnen hatte. Fernsehturm, Wasserspiele, Rathauspassagen, ab den Achtzigern das Marx-Engels-Denkmal fügten sich zu einem Ensemble. Manches davon wurde abgerissen, umgebaut, eine überzeugende gestalterische Idee für die Gegend aber fehlt bis heute. Auch daran erinnert die gelungene Palast-Ausstellung.

Utopie, Inspiration, Politikum. Kunsthalle Rostock, bis zum 13. Oktober. Der Katalog, herausgegeben von Elke Neumann, ist im Mitteldeutschen Verlag erschienen und kostet in der Ausstellung 25 Euro. Info: www.kunsthallerostock.de

© SZ vom 26.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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