Kritik:Die Kirschgeister, die er rief

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Der Tod ist ein elendes Geschäft: Andreas Bittl spielt im Künstlerhaus den Boandlkramer als herzensguten Kerl. (Foto: Brigitte Sporrer)

Der "Brandner Kaspar" als sehr musikalische Neuproduktion im Künstlerhaus

Von Egbert Tholl, München

Eigentlich sollte man ja meinen, das Ganze ist ein eher halsbrecherisches Unterfangen: Wie kann man auf die Idee kommen, in München eine neue "Brandner Kaspar"-Inszenierung herauszubringen, während am Volkstheater seit 2005 die Inszenierung von Christian Stückl läuft und läuft, worin sich ein barockes Paradies auftut, Weißwürste gereicht werden, Preußen durch die bayerischen Wälder stolpern und Maximilian Brückner als Boandlkramer wie ein verschrobenes Spinnentier über das Mobiliar springt?

Man kann, und es hat alles nebeneinander Platz. Jedenfalls haben die Zuschauer ihre Freude am "Brandner" im Künstlerhaus am Lenbachplatz, das diese Aufführung zusammen mit dem Theater an der Rott in Eggenfelden produziert hat.

Für die Festspiele auf Gut Immling hatten Christian Auer (Musik) und Karl-Heinz Hummel (Text) 2014 ihre Version der alten Geschichte entworfen, die nun Thomas Stammberger fürs Künstlerhaus neu inszeniert hat. In Immling gab es ein Orchester, nun gibt es die Landshuter Band Flez Orange. Diese, bestehend aus vier beherzten Musikern und der ebenso beherzten Veronika Keglmaier an der Geige, sieht man leider nicht, weil es auf der Bühne zu eng ist. Aber sie spielen live, was man hört, aber sähe man sie, der Spaß wäre noch größer.

Dieser "Brandner" ist ein Singspiel, eine Rockoper, ein Musical. Tatsächlich ist die musikalische Gestalt ziemlich heterogen, erinnert ein bisschen an Achtzigerjahre-Dorfdisko, zu der dann auch die Scheinwerfer als theatralisches Intro passen, bewegt sich davon fort zu operettenhaftem Melos, das vor allem dem Brandner selbst zugeschrieben ist, zu Anflügen von interessanten Art-Rock für den Boandlkramer und auch einer sehr schönen Maientanzszene, in der Volksmusiken amalgamiert und modernisiert werden - einen Zwiefachen gibt es auch.

Wer zum "Brandner" geht und Avantgarde-Theater erwartet, ist ein Depp. Im Grunde geht es hier doch immer nur um den Zauber der Menschen auf der Bühne. Ist die Ambra, des Brandners Enkelin entzückend? Ja, Judith Peres ist es. Ist der Brandner ein lebenhungriger, liebenswerter Filou? Ja, Armin Stockerer ist es. Und ist der Boandlkramer - ja was? Andreas Bittl ist ein heruntergekommener Adelsdiener, er ist herzensgut, sonst hätte er ja keine Probleme, und Bittl stattet die Figur mit der großen Würde des Todes aus, der den Tod nicht will. Er macht das herrlich. Auch der Klinsch mit dem Himmelsportner, Michael A. Grimm, ist so lustig, wie er sein muss. Der Kern von Stammbergers Inszenierungsidee liegt dann aber doch woanders, nämlich im Dunklen, im Brauchtum, im wilden Treiben der Rauhnächte.

Also gibt es Figuren von herumhuschenden Geistern, Boandls Pferd und Hexen. Judith Peres, Maria Helgath und Anna Veit sind sehr agile, bairische Hexen, tragen Masken und Strohhaar, sind wunderbare Kinderschrecks und zum Glück auch drei Engelinnen, denn dann sieht man, vom Licht ihrer Kostüme erstrahlt, ihren ganzen Witz und Charme mit gebührendem Leuchten. Singen können alle, ein Kirschgeist kann dennoch nicht schaden. Denn a Hetz soll's ja sein.

© SZ vom 30.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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