Trans Atlantik Express:Wie Gott sie haben wollte

Trans Atlantik Express: Ich begab mich bei Lesungen in eine merkwürdig lächelnde Trance, in der ich einfach alles sagte, von dem ich dachte, die Leute wollten, dass ich es sage. Dann ging ich zurück in mein Hotelzimmer und trank.

Ich begab mich bei Lesungen in eine merkwürdig lächelnde Trance, in der ich einfach alles sagte, von dem ich dachte, die Leute wollten, dass ich es sage. Dann ging ich zurück in mein Hotelzimmer und trank.

(Foto: Horst Galuschka/IMAGO)

Warum Schriftsteller nicht aus ihren eigenen Büchern vorlesen sollten und Verrisse nur unter ganz bestimmten Bedingen erlaubt sein dürften. Die New-York-Kolumne.

Von Kristen Roupenian

Diesen Monat ist eine Freundin von mir in der Stadt, die gerade schwierige Zeiten hatte, und sich - anders als ich - voll ins Leben wirft, wenn es Probleme gibt, was toll ist, weil sie mich dann mitzieht. Unter anderem hat sie mich dazu gebracht, zur ersten literarischen Lesung zu gehen, seit mein eigenes Buch erschienen ist: die Franklin-Park-Lesereihe mit Mogan Talty, Megan Mayhew Berman, Isaac Fritzgerald und Hernán Díaz.

Die Lesung war in einer Bar, was immer noch merkwürdig für mich ist. Nicht zu trinken stört die gewohnten Abläufe in so vieler Hinsicht; mir ist einfach immer bewusst, dass ich nicht mit den anderen um mich herum mithalten kann. Manchmal ist das gut - ich konnte einen Platz weit vorn ergattern, weil ich nicht an der Bar Schlange gestanden hatte, und in der Pause musste ich mich nicht entscheiden, ob ich nochmal Drinks holen oder aufs Klo gehen wollte.

Aber dieses Gefühl anzukommen, nachdem man sich um Alkohol gedrängelt hat, der erste Schluck, die Entspannung, das Signal ans Gehirn: hier bin ich, jetzt geht es mir gut - das kommt nicht einfach so. Man sitzt also nur da und fragt sich: Geht es mir jetzt schlecht? Ich fühle mich steif, unbehaglich und mürrisch, weil ich einen Drink will und keinen bekomme, aber eines Tages wird das vorbeigehen und ich werde wieder Spaß haben. Oder bin ich unglücklich, weil ich bisher immer, wenn ich dachte, ich hätte Spaß an "Lesungen" und "ausgehen" und "mich unterhalten" und "lebendig sein", eigentlich nur das Trinken mochte?

Schriftsteller, die gut darin sind, öffentlich zu sprechen, kommen mir ehrlich gesagt verdächtig vor

Klar, das ist jetzt melodramatisch. Natürlich mochte ich Lesungen noch nie. Meine Aufmerksamkeitsspanne ist kurz und ich kann Informationen nicht gut nach Gehör aufnehmen; außerdem ist es doch komisch, wie wir von Autoren erwarten, dass sie ihre Werke öffentlich vortragen können. Sie können es nicht! Und warum sollten sie? Das ist eine völlig unwichtige Fähigkeit. Schriftsteller, die gut darin sind, öffentlich zu sprechen, kommen mir ehrlich gesagt verdächtig vor. Ich selber war ganz gut darin (denke ich, ich bin nie kotzend von der Bühne gerannt), aber dieses Kunststück gelang mir, indem ich mich in eine merkwürdig lächelnde Trance begab, in der ich einfach alles sagte, von dem ich dachte, die Leute wollten, dass ich es sage. Dann ging ich zurück in mein Hotelzimmer und trank, bis die Scham vorbei war - was rückblickend ein extrem verdächtiges Verhalten war.

Ich habe fast keine Erinnerung an meine Lesereisen. Da ist ein Filmriss, der ein Jahr dauerte, und nicht mal, weil ich trank; eher war ich in einem andauernden Zustand der Panik und des Selbsthasses, so dass mein Hirn wohl hilfsbereit fand: Nee, das scheint nichts zu sein, das sie mitschneiden will. Aber was weiß ich, vielleicht geht es anderen Schriftstellern anders. Die, die ich an dem Abend gesehen habe, wirkten, als hätten sie Spaß.

Dass ich bei Lesungen schon mal auf der anderen Seite saß, hat auch zur Folge, dass ich einen starken Widerwillen dagegen habe, auch nur ein bisschen Kritik an den gelesenen Texten zu üben (ehrlich, so eine Starkritikerin bin ich, es ist erstaunlich, dass diese Zeitung mir noch keine Gehaltserhöhung angeboten hat). Ich weiß eben aus Erfahrung, wie angreifbar es einen macht, etwas zu schreiben und öffentlich darüber zu reden, weshalb ich mir wie ein Arschloch vorkäme, wenn ich irgendwas anderes äußern würde als von ganzem Herzen Zustimmung.

Trans Atlantik Express: Kristen Roupenian ist Schriftstellerin. In ihrer SZ-Kolumne "Trans Atlantik Express" berichtet sie alle vier Wochen aus dem New Yorker Kulturleben.

Kristen Roupenian ist Schriftstellerin. In ihrer SZ-Kolumne "Trans Atlantik Express" berichtet sie alle vier Wochen aus dem New Yorker Kulturleben.

(Foto: privat)

Man könnte natürlich sagen, dass es zur Arbeit eines Schriftstellers gehört, mit Kritik umzugehen. Und jemand, der seinen Namen googelt, eine Besprechung seines Buchs in einer fremden Sprache entdeckt, diese bei Google Translate eingibt, um dann etwas Kritisches über die eigene Arbeit zu lesen und sich in seinen Gefühlen verletzt zu finden, der bekommt eben, was er verdient. Natürlich haben Leute, die beruflich schreiben, besseres zu tun, könnte man meinen. In dieser schönen Illusion lebte auch ich, bevor ich selbst Schriftstellerin wurde, weshalb ich früher auch noch mit Freude lesen und mich im Internet kritisch über Leute äußern konnte. Aber jetzt weiß ich die Wahrheit: Alle Leute lesen immerzu alles über sich. Wenn du jemals im Internet etwas Gemeines über einen Autor geschrieben hast, und der es nicht gelesen hat, dann nur, weil jede Menge anderer Leute auch gemeine Sachen über ihn geschrieben haben, und er nur noch keine Zeit hatte, deine Gemeinheit zu lesen. Aber er kommt schon noch dazu, keine Sorge.

Wahrscheinlich denken Sie jetzt, ich schweife unnötig ab und wünschten sich, ich würde wenigstens eine konkrete Sache über diese dämliche Lesung erzählen, auf der ich war. Aber in Wirklichkeit war es ein superrelevanter metafiktionaler Trick (klar, oder?), weil einer der Schriftsteller, die dort lasen Issac Fitzgerald war, der frühere Lektor von Buzzfeed Books, der in seiner Amtszeit einen kleinen Aufstand im Internet verursachte, als er verkündete, Buzzfeed werde nur noch positive Besprechungen veröffentlichen. Obwohl das beinahe ein Jahrzehnt her ist, habe ich den Aufschrei lebendig in Erinnerung; damals war ich eine einfache Leserin und vertrat leidenschaftlich den Standpunkt: Bring Verrisse, du Feigling.

Heute saß ich auch was negative Besprechungen angeht schon auf der anderen Seite. Dazu gehörte eine, bei der ich das Gefühl hatte, sie sei die ätzendste, herablassendste, versteckt misogynste, scheußlichste Vernichtung aller Zeiten gewesen. Eine Rezension, die meiner unparteiischen Einschätzung nach, ihrem Autor eine Reise ins Literaturgefängnis ohne Wiederkehr hätte bescheren sollen, aber irgendwie überhaupt nicht auf ihn zurückfiel, weil eben alles schrecklich läuft.

Lasst Schriftsteller doch einfach nur zuhause sitzen und zurückgezogene Sonderlinge sein

Ich frage mich, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich mich als Gegner negativer Kritiken zu erkennen gegeben hätte, bevor ich welche bekommen habe, statt es jetzt zu tun, wo meine ganz grundsätzlichen Einwände unweigerlich wie Unsicherheit und Missgunst rüberkommen. Aber nur für den Fall, dass es jemanden interessiert, ich denke folgendermaßen: Doch, Verrisse sollten erlaubt sein, aber nur in Printmedien mit einer Auflage unter 10000 Stück und nur in Sprachen, die der Autor nicht spricht. Alles was irgendwer über jemanden im Internet sagt, sollte immer nur positiv sein.

Außerdem sollten Schriftsteller nicht mehr aufgefordert werden, vor Publikum zu lesen. Stattdessen sollten die Verlage Schauspieler engagieren, die ihre Texte aufführen, und Autoren sollte bei diesen Veranstaltungen nicht dabei sein dürfen, so dass die Zuhörerschaft echt reagieren kann, ohne sich schlecht zu fühlen, wenn sie sich sichtlich langweilt.

Und wo wir gerade dabei sind, sollte es nichts dergleichen geben wie einen "Literaturbetrieb", weder physisch noch online. Stattdessen sollten wir ein Umverteilungsprogramm aufsetzen, das nur noch einen einzigen Schriftsteller pro Milieu zulässt. Und Schriftsteller sollten einfach nur zuhause sitzen und zurückgezogene Sonderlinge sein, von denen niemand erwartet, dass sie rausgehen, und deren Meinung grundsätzlich niemanden interessiert, ganz so wie Gott sie haben wollte.

Aus dem Englischen von Marie Schmidt.

Weitere Folgen der Kolumne "Trans Atlantik Express" finden Sie unter sz.de/transatlantikexpress.

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