Krimi-Übersetzungen:Wunde Punkte

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In den Siebzigern sollten aktuelle Kriminalromane die Durchschnittslänge von 150 Seiten einhalten. Sie galten als plotbestimmt. Krimi-Übersetzungen waren daher echte Massaker: so brutal wie nötig auf das Standardformat gekürzt.

Von Fritz Göttler

Der Kennedy-Brief ist ein wesentliches Stück in der Karriere und im Selbstwertgefühl von Indigo Boone aus Chicago. Der Präsident bekundet darin Dankbarkeit für die Besorgung der nötigen Stimmen und dass "Boones Anstrengungen die Nation vor Richard Nixon bewahrt haben". Indigo Boone, "der Mann, der wusste, wie man Wahlen stahl", ist eine der vielen schrägen Figuren im Roman "Porkchoppers" von Ross Thomas, die mehr oder weniger manipulativ an einer Gewerkschaftsführer-Wahl mitfummeln. "Porkchoppers" ist im Februar erstmals auf Deutsch erschienen, in der schönen Ross-Thomas-Reihe des Berliner Alexander Verlags - erstmals in der Fassung jedenfalls, die dem Original entspricht. In den Siebzigern war der Roman erheblich kürzer - "schlanke 132 Seiten", merkt der Neuübersetzer Jochen Stremmel an, "gemessen an den 246 des Originals". Der Titel war "Wahlparole: Mord".

Das ist kein schlechter Titel, und das Buch, erschienen bei Ullstein, hatte eine eigene Dynamik, las sich durchaus flott. Es war eine reiche Zeit für Krimis, damals in den Siebzigerjahren, diverse Verlage hatten ihre eigenen Taschenbuchreihen - die roten Goldmann-, die schwarzen Rowohlt-, die blauen Heyne-Bände -, und man lernte Autoren kennen, von denen viele heute so gut wie vergessen sind - John D. Macdonald, Arthur W. Upfield, Boileau/Narjeac und andere - und manche nun wieder hervorgeholt werden, verdienstvollerweise in Neuübersetzungen. Krimi war Gebrauchsware, die Herkunft vom Pulp, von den billigen Paperbacks Pulp, bestimmte seinen Ruf. Richard Starks Parker-Romane, seit einigen Jahren auf Deutsch neu herausgebracht bei Zsolnay, hatten einst Titel wie "Ein wunder Punkt kann töten" oder "Ich bin die dritte Leiche links".

Jedes Buch wurde auf eine Durchschnittslänge gebracht

Der Krimi galt als plotbestimmt, in der Tradition von Edgar Wallace oder Agatha Christie, und auch die aktuellen Romane sollten eine Durchschnittslänge von etwa 150 Seiten nicht überschreiten. Den Übersetzern oblag es, das Original in diese Länge zu bringen, so subtil wie möglich, so brutal wie nötig, und seinen Drive womöglich noch ein wenig zu steigern. Bei Ross Thomas wurden also all die kleinen boshaft insistenten Abweichungen weggehackt, in denen die Figuren in ihrem Stil und ihren Obsessionen gepackt wurden und die aus den Romanen eine Comédie Humaine des 20. Jahrhunderts machten. In den Ross-Thomas-Neuausgaben und in vielen anderen ist diese Prokrustes-Arbeit wieder rückgängig gemacht.

Im Diogenes-Verlag hatte man mit diesen Neuübersetzungen begonnen, für die großen Autoren Eric Ambler, Georges Simenon, Raymond Chandler, Dashiell Hammett, dann weiter zu Cornell Woolrich, Jonathan Latimer, Ross Macdonald. Die Bindung an den Pulp wurde verdrängt, die Bücher galten als Literatur - und manchmal führte das in die Irre. Aus unerfindlichen Gründen wurden zwei Chandler-Romane den Kultur-Promis Hellmuth Karasek und Hans Wollschläger anvertraut - der wütende Spott der Fans und Experten damals ist legendär (wie aus dem "you darn fool" ein "Sie zusammengeflickter Narr" wurde). Eine gute Krimiübersetzung ist ein verdammt schwieriger Job, wie ihn Peter Torberg, Nikolaus Stingl, Pieke Biermann und viele andere bravourös erledigen: sich auf dem Terrain des Genres sicher bewegen, die Realität, die dort eindringt, reflektieren, die Verdichtung erfassen, die sie dabei erfährt.

© SZ vom 23.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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