Krimi-Kolumne:Gedankenjäger

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Gedanken lesen hilft als Cop. Kann aber gefährlich werden, wenn man von einer fiesen Beamtin gejagt wird.

Von Fritz Göttler

Manchmal macht auch der Job eines Polizisten im Straßendienst Spaß. Zumal wenn man zur Abwechslung mal im wohlhabenden Teil seiner Stadt - Kearns, Michigan - rumkurven darf und es mit zu schnellen Porsches zu tun kriegt statt mit zu viel Gewalt zwischen Eheleuten. Manchmal sitzt dann überraschend ein blondes Mädchen im gestoppten Wagen - es ist wohl der ihres Daddys. "Bin ich zu schnell gefahren?", fragt sie, "der Tacho ist kaputt, da kann ich das schwer abschätzen." "Ihr Tacho ist okay", sagt darauf Jared Snowe, der Cop. "Ich hab Sie mit sechzig in einer 35er-Zone gemessen." "Ich hab gerade meine Oma im Krankenhaus besucht", sagt das Mädchen mit süßer Stimme, "da war ich wohl ein wenig aufgeregt." Jared Snowe weiß es besser. "Sie kommen vom Haus Ihres Freundes Jeff, wo Sie sich mit Marihuana eingedeckt haben", sagt er und ahmt ihren Tonfall nach. "Vorsichtigerweise haben Sie das Zeug in den Kofferraum gelegt, für den Fall, dass Sie angehalten würden." Den Rest überlässt er ihr: ein Strafzettel, oder er holt die Hundetruppe, die den Kofferraum durchschnüffeln wird.

Das mit der Hundetruppe ist natürlich ein fieser Trick, seine Dienststelle hat gar keine. Und das lässige Hochgefühl, das ihm dieser Wortwechsel bereitet, kommt vor allem daher, dass Snowe seit einigen Tagen die Fähigkeit hat, anderer Leute Gedanken zu lesen. Was ihn schnell unter seinen Kollegen zum Supercop gemacht hat. Jared ist nicht der einzige Gedankenleser, es gibt da ein paar Dutzend in Amerika, manche sind schon tot, bei anderen schlummert die Fähigkeit noch. Sie alle, das findet Jared heraus, haben das gleiche Schlangen-Tattoo an der linken Schulter und wurden vor Jahren in einem geheimen Labor in Alaska bei einem militärischen Gehirnexperiment operiert.

Eine dubiose kleine Regierungs-Instanz weiß um die Existent der Gedankenleser, dort kriegt man schnell mit, wenn einer, wie Jared, plötzlich online geht. Einen anderen Gedankenleser, Brooks Denny, wollen sie sogar für ihre Arbeit einsetzen, sie holen ihn aus dem Gefängnis in Oklahoma, wo er wegen Polizistenmordes in der Todeszelle hockt, und bringen ihn ins UN-Gebäude in New York, wo er bei einem miesen Deal um afrikanisches Öl einen der Verhandlungspartner "belauschen" soll. Terry Dyer ist die junge eiskalte Agentin, die den Job erledigen soll, aber dann gelingt es Brooks Denny zu fliehen, und um ihn wieder aufzuspüren, benutzt sie erst mal den Cop Jared Snowe.

Der in Aberdeen geborene, seit langem in Amerika lebende Autor Iain Levison interessiert sich nur am Rande für das Thrillerpotential seiner Geschichte. Liebevoll erzählt er, wie der Alltag sich verändert für einen Mann, wenn er in einer Bar ein paar Frauen mit seinem Wissen über sie beeindrucken kann, sie aber, wenn er zu weit geht, schnell misstrauisch macht und sein Date versaut. Jared und Brooks finden sich und tun sich zusammen, für ein schönes Roadmovie durch Amerika, verfolgt von Feinden, die mit allen erschreckenden Überwachungstricks operieren. Eine Studie in melancholischer Buddy-Intimität. "Snowe öffnete die Autotür und fühlte bei den ersten zögerlichen Schritten, wie das Blut in seine Beine zurückkehrte. Die ersten kühlen Herbsttage standen vor der Tür. Es war seine liebste Jahreszeit, wenn die Blätter sich zu färben begannen, zum ersten Mal ein Mantel für draußen nötig war, der Atem am Morgen sich frostig zeigte. Er spürte Feuchtigkeit in der Luft. Es war noch mehr Regen im Kommen. Wie ging doch gleich der Dylan-Song? ,A Hard Rain's A-Gonna Fall', sagte Denny."

© SZ vom 27.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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