Kostümfilm "Les adieux à la reine" eröffnet Berlinale:Nachdenkliches Spektakel

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Wie es sich für einen zünftigen Eröffnungsfilm gehört: Zum Auftakt der Berlinale vereint "Les adieux à la reine" das Spektakel mit der Reflexion. Das Kostümdrama spielt am ersten Tag der Französischen Revolution am Hof von Versailles. Das Traumatische der Situation hat dort auch etwas Traumhaftes: Es geht nicht mehr um Repräsentanz und Status, sondern um Person und Körper.

Fritz Göttler

Der Tag fängt wirklich nicht sehr gut an, das junge Mädchen stolpert auf dem Weg zur Arbeit und stürzt zu Boden, sein Unterrock hat einen schmierigen Rand, sie wirft verunsichert einen Blick zurück, wo die Wachen des Schlosses das Tor wieder schließen, Gitterstäbe, ein goldener Käfig. Hektische Stunden stehen bevor, und es wird nicht das letzte Mal sein, dass das Mädchen stolpert und stürzt. Es ist der 14. Juli 1789.

Zur Unbeweglichkeit verdammt: Die Frauen am Hof von Versailles in Benoît Jacquots "Les adieus à la reine". (Foto: Bethuel/Festival)

"Les adieux à la reine" hat am Donnerstagabend die 62. Berlinale eröffnet, nach dem Erfolgsroman von Chantal Thomas (für den deutschen Kinostart mit dem blödsinnigen Titel "Leb wohl, meine Königin!" bedacht), die Königin ist Marie Antoinette, verkörpert von Diane Kruger, und der Film vereint, wie es sich für einen zünftigen Eröffnungsfilm gehört, das Spektakel mit der Reflexion, zwei Filme in einem gewissermaßen, und der erste von beiden ist bei weitem spannender und durchtriebener.

Der Regisseur Benoît Jacquot gehört zu den subversiven jungen Filmemachern eine Generation nach der Nouvelle Vague, er hat sich mehrfach schon für die Mechanik der Macht interessiert, wie sie mit den Frauen umgeht und wie die sich dagegen auflehnen.

Léa Seydoux ist Sidonie Laborde, die man auf dem Weg zur Arbeit stolpern sieht, sie ist die Vorleserin von Marie Antoinette. Der Hof von Versailles ist in Auflösung, schlimme Gerüchte aus der Stadt Paris dringen heran, eine Liste mit 286 Namen zirkuliert - mit all den Aristokraten, die beseitigt werden müssten, um eine neue Gesellschaft, eine richtige Revolution hinzukriegen. Die Aristokraten suchen verwirrt auf der Liste ihren Namen, und wenn sie ihn finden, ist nicht klar, ob ihre Konsternation von der Drohung des Todes herrührt oder von der Rangnummer, unter der sie gelistet sind.

Umsturz, Zerstörung, Revolution gehören zu den liebsten Themen des Kinos von Anfang an - und man mag in diesem Film durchaus die Verunsicherung über die gesellschaftlichen Formen heute gespiegelt sehen. Das Traumatische der Situation hat auch etwas Traumhaftes, darin ist Jacquots Film subtiler und genauer als die Pop-Romanze von Sofia Coppola, seine Kamera wieselt durch die Zimmer des Palastes, hin und her zwischen den Aristokraten, die ihre Position und ihre Rolle gerade verlieren. In Zukunft sind nicht mehr ihr Status und ihre Repräsentanz gefragt, sondern Person und Körper.

Ein System wird geplündert

Die Dienstboten fangen an, anders mit den Objekten umzugehen, sie nicht mehr als Statussymbole zu sehen, sondern sie konkret, in ihrem Nutzen zu nehmen. Ein System wird geplündert, ein Wertesystem, das macht auch vor der Königin nicht halt. Sie denkt an Flucht, verlangt nach Landkarten und kümmert sich trotzdem um eine wertvolle Blumen-Broderie. Ich kann nicht weg, kann nicht reisen, klagt sie, das System hat sie zur Stagnation, zur Unbeweglichkeit verpflichtet.

Die Frauen hier sind unbeweglicher als die in den meisten anderen Filmen von Jacquot, gespielt von Isild Le Besco, Isabelle Huppert oder Virginie Ledoyen. Das waren Abenteurerinnen, die zögerten, dann aber einen Aufbruch, einen Ausbruch wagten, ins Ungewisse.

Ein Spiel, das Sidonie mit der Königin spielte, hat die beiden verbunden und ein wenig in Bewegung gehalten - in dem das Mädchen ihr vorschlug, was sie ihr vorlesen sollte, zur augenblicklichen Stimmung und Lage passend, Maria Theresia oder Marivauxs Marianne, ein Buch über fremdartige Tiere oder eines über die Geschichte des Himmels, oder die "Prinzessin von Clèves" - literarische Formen, zusammengebracht mit gesellschaftlichen. Ein moderner Professionalismus, wie man ihn aus dem amerikanischen Kino kennt. Ich habe Léa gesagt, erklärt Jacquot, dass sie mich an die Frauen bei Hawks erinnert, sehr sexy und zugleich gute Kumpel.

Es gibt Momente in diesem Film, da könnte alles auch ein Traum sein, und manche Menschen scheinen sich in einen Big Sleep zu flüchten, mit Hilfe von zwei Opiumkapseln.

Aber dann hört das Traumstück plötzlich auf, und der Film verlegt sich auf ein geradliniges Psycho-Drama, eine Liebesgeschichte zwischen der Königin und einer ihrer Hofdamen, gespielt von Virginie Ledoyen. Das System schlägt zurück, nun wird auch Sidonie ihre Unschuld verlieren. So jung, hat früher mal ein alter verwirrter Mann von ihr gesagt, und so blind. Eine Blindheit, die der Film am Ende teilt, der zweite von den beiden. Man ist vielleicht einmal zu früh aufgewacht. Der Traum währte nicht lang genug.

© SZ vom 10.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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