Konzert:Stadionrock unplugged

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Die "Toten Hosen" spielen zusammen mit den Brüdern Well und Gerhard Polt im Schauspielhaus der Kammerspiele, was zu einem Sturm der Begeisterung und zu erstaunlichen musikalischen Ergebnissen führt

Von Egbert Tholl

An Abenden wie diesen ist man verblüfft, wer denn so in die Kammerspiele geht. Die einen fragen, ob die Bestuhlung im Parkett einen Mittelgang habe, neben einem sitzt ein Kollege, der bis zur Pause schon seine Kritik auf dem Tablett fertig geschrieben hat. Manche sind ausstaffiert, als lebte der Punk noch, andere teilen mit den Mitgliedern der Band den Umstand, dass ein in früher Jugendzeit angebrachtes Tattoo auf einem alternden Körper eher wie eine Pigmentstörung denn wie ein Statement wirkt. Aber alle miteinander haben hervorragende Laune, weil das Schauspielhaus der Kammerspiele geöffnet wird für den Auftakt einer Tour, die in ihrem weiteren Verlauf, etwa in Norddeutschland, als prächtige Freakshow durchgehen wird, bei ihrem Ursprung in Bayern ein großes Wohlbefinden verursacht: Die Toten Hosen geben zusammen mit den drei Brüdern Well und Gerhard Polt ein Konzert. Titel: "Im Auge des Trommelfells", und tatsächlich steht auf der Bühne eine sehr große Trommel.

Die Düsseldorfer und die Oberbayern schätzen sich seit 30 Jahren. In Wackersdorf lernten sie sich kennen, als der Protest gegen den Atom-Irrsinn verschiedene Stile des Widerstands vereinte. Dessen Kraft, also die des Widerstands, ging seitdem verschiedene Transformationen ein. Gerhard Polt etwa hat sich für die "Trommelfell"-Tour die Figur eines Impresarios für volkstümliche Musik ausgedacht, der immer wieder zwischen den Liedern auftaucht, den Hosen einen Vertrag aufschwätzen will und nebenher über Karl Moik und ähnliche Großkünstler räsoniert, was insofern verblüfft, weil das wohlfeile Lästern über die Absonderlichkeiten der volkstümlichen Musikszene längst durchbuchstabiert ist und für einen mit einem Hirn wie Polt das doch wirklich keine Gegner sind. Die Wells singen dazu jene Lieder, die sie seit Jahrzehnten singen. Das deutet zwar darauf hin, dass die Welt, seit die Wells gegen ihre Missstände ansingen, keineswegs besser geworden ist. Zeigt aber auch, dass das kreative Potenzial der Brüder in eine Form der variierenden Stagnation übergegangen ist. Sie verwalten das selbstgeschaffene Erbe.

Gerhard Polt trifft Campino. (Foto: dpa)

Aber: Hier spielen sie mit den Hosen. Und das tut ihnen unglaublich gut. Wirklich grandios ist der Abend, wenn die Toten Hosen unplugged Lieder wie "Gegenwind der Zeit" spielen, die Wells einen dunklen Bläsersatz dazugeben und tatsächlich eine Wut spürbar wird, mit der die Hosen selbst die Gefilde des Stadionschlagers verlassen, in denen sie sich ganz gut eingerichtet haben. Nun ist rein musikalisch ziemlich vieles sehr großartig, die Hosen selbst sind herrlich sympathisch und Campino ein wunderbarer, höflicher und sehr gescheiter Entertainer.

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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