Konzert:Sehnsucht nach Italien

Lesezeit: 2 min

Die Koloratursopranistin Barbara Hannigan singt und dirigiert in München das Bayerische Staatsorchester in einem Programm um Trauer, Liebe und Opfermut von Joseph Haydn bis Luciano Berio.

Von Reinhard J.Brembeck

Barbara Hannigan hat es sich in einem roten Thronsessel bequem gemacht. Dort fläzt sie sich in dem auf sie gerichteten Scheinwerferkegel, sie turnt, gurrt, stöhnt, zwitschert, plappert Unverständliches. Das Orchester hinter, das Publikum vor ihr, alle hören gebannt zu, wie diese Ausnahmeperformerin die Sechzigerjahre beschwört, samt deren Träumen von einer völlig anderen Musikkultur als der, die üblicherweise die Konzertsäle füllt. Denn nichts anderes ist Luciano Berios knapp zehnminütige "Sequenza III" für Frauenstimme.

Berio hat das Stück für die legendäre Cathy Berberian (1925 - 1983) geschrieben, die, seriös-schrill und erzmusikalisch, alles von Claudio Monteverdi bis John Cage auf die Bühne zauberte. Barbara Hannigan ist deren einzig würdige Nachfolgerin, aber ganz, ganz anders geartet. Sie hat mit ihrem hohen, lichten und extrem wandlungsfähigen Koloratursopran schon mehr Uraufführungen gesungen als jede andere. Sie triumphiert aber auch in Opern wie Alban Bergs "Lulu". Mit der Marie in Bernd Alois Zimmermanns pathetisch gewaltigen "Soldaten" hat sie sich vor zwei Jahren ins nicht so leicht zu erobernde Herz des Münchner Opernpublikums katapultiert.

Hannigan dringt als Dirigentin in die letzte Männerdomäne ein

Seit einigen Jahren dringt Barbara Hannigan zudem als Dirigentin in die letzte Männerdomäne der Klassik ein. Zuhörer wie Orchester sind davon äußerst angetan, und so kommt die Einzigartige jetzt als Dirigentin & Sängerin in Personalunion auf die Bühne des Münchner Nationaltheaters mit dem Bayerischen Staatsorchester.

Ihr grandios zusammengestelltes, großenteils auch noch auswendig gebotenes Programm prägt nicht nur in jedem Ton die Sehnsucht nach Italien, sondern auch nach einer anderen Konzertkultur. Hannigan singt zuerst ein kurzes Solo, in der Luigi Nono die algerische Freiheitskämpferin Djamila Boupacha beschwört, ein Opfer von Folter und Justiz. Nonos lang geschwungene, von Brüchen durchzogene Melodien sind, fern aller Avantgardeartistik, eindringliche Ausdrucksmusik. Mit deren letztem Ton verwandelt sich die Sängerin in die Dirigentin, Hannigan wendet sich zum Orchester und lässt ohne Pause Joseph Haydns "La Passione"-Symphonie folgen, die 200 Jahre früher den Schmerz genauso unmittelbar und artistisch ausformuliert wie Nono.

Schmerz und enttäuschte Liebe sind auch Thema in Annes Arie aus Igor Strawinskys "The Rake's Progress", in dessen "Pulcinella"-Suite sowie dem Vorspiel zu Gioachino Rossinis "Seidener Leiter". Hannigan dirigiert wie sie singt, sie setzt auf Linie, Eleganz, Klarheit. So exzentrisch die Partituren sein mögen, bei ihr verwandeln sie sich in selbstverständlich erzählende Sinngebilde, denen Anstrengung und abstraktes Kunstwollen abgeht. Deshalb kann sie auch mit den sperrigsten Stücken ein Publikum mitreißen, das sonst reserviert bis ablehnend reagieren würde. Damit bringt sie eine neue Qualität ins Spiel, die die von ihr ersehnte neue Konzertkultur erkennen lässt. Auch wenn Barbara Hannigan bislang die einzige Musikerin ist, die dafür steht.

© SZ vom 27.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: