Konzert:Schnauze voll

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Das Hip-Hop-Duo "Keur Gui" ist Sprachrohr der Jugend Westafrikas

Von Jonathan Fischer, München

Wenn senegalesische Rapper zum Mikrofon greifen, dann werden afrikanische Politiker schnell nervös. Im Kongo etwa warfen Polizisten den Rapper Fou Malade mitsamt Kollegen nach einem Treffen mit lokalen Bürgerrechtsaktivisten ins Gefängnis. Regierungstreue Zeitungen bezeichneten die Hip-Hopper aus dem Senegal anschließend als "Terroristen". Und ein Auftritt des Duos Keur Gui in Segou in Mali endete mit einer Entschuldigung der Veranstalter an die versammelte Politprominenz für die "unnötige Provokation unserer senegalesischen Gäste".

Dabei waren Tausende von Jugendlichen zu den wütenden Slogans der Rapper - "der Präsident ist korrupt" oder "wir haben die Schnauze voll" - mit gereckten Armen in die Luft gesprungen, hatten Wort für Wort mitgebrüllt: Endlich jemand, der die Höflichkeitsfloskeln beiseite lässt, und ausspricht was so viele von ihnen denken. "Wir sind die Stimme der Stimmlosen", sagt Keur-Gui-Frontmann Thiat, ein Energiebündel mit Rastamütze und Baggy-Pants. "Über die Hälfte unserer Bevölkerung ist unter 25 Jahre alt, aber niemand hört auf sie und ihre Sorgen". Was bleibe da übrig, als diese über Hip-Hop zu mobilisieren? Einer Sprache, die die einfachen Menschen verstehen - und die den Mächtigen gerade deshalb so gefährlich wird.

Was Hip-Hop ausrichten kann, das haben die senegalesischen Rapper bereits eindrücklich unter Beweis gestellt. Fou Malade wie Keur Gui gehörten zusammen mit ein paar befreundeten Journalisten 2011 zu den Gründern der senegalesischen Graswurzelbewegung Y'en a marre. Y'en a marre, das heißt: Uns reicht's. Was als Protest gegen die ständigen Stromausfälle begonnen hatte, entwickelte sich bald zur größten Bürgerbewegung in der Geschichte Senegals. Die Rapper mobilisierten für die Präsidentschaftswahl 2012 mehrere Hunderttausend Jugendliche. Angeführt von den Hip-Hoppern zogen Demonstrationen durch die Hauptstadt Dakar, forderten vom Präsidenten die Einhaltung der Verfassung, ein Ende der Korruption und Chancen für die Jugend. Am Ende war nicht nur der umstrittene Präsident Abdoulaye Wade abgewählt. Sondern auch ein nie dagewesenes politisches Bewusstsein etabliert. "Uns ging es nicht darum", sagt Thiat, "einen korrupten Politiker durch einen anderen zu ersetzen. Wir wollen die Lethargie aufbrechen: Dazu müssen wir endlich anfangen, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen".

Auf dem Weg zur einflussreichsten Hip-Hop-Band Afrikas aber mussten die beiden Keur-Gui-Rapper hart einstecken. Mit 17 Jahren hatten Thiat und Kilifeu angefangen, in ihrer Heimatstadt Kaolack, aufzutreten - nur um kurz danach wegen eines Songs, der sich gegen den Bürgermeister richtete, inhaftiert und geschlagen zu werden. Ihr erstes Album wurde zensiert. Sie erhielten Morddrohungen. Trotzdem gab das Duo nicht auf. Thiat sagt, er verdanke seinen Widerstandsgeist seiner Mutter. Sie habe ihn gelehrt, Ungerechtigkeiten beim Namen zu nennen - auch die eigenen. Seine Texte handeln von allen Facetten des Machtmissbrauchs: Mal prangert er die Verquickung von Religion und Politik an, mal den Kindesmissbrauch. Dabei nutzen Keur Gui den Reichtum der Wolof-Sprache. Und kreieren ganz eigene Beats: Zwischen treibenden Funk-Rhythmen hört man das Perlen der Kora oder den bluesigen Lauf einer Ngoni-Laute. Für Thiat eine Geste des Widerstands: "Die Europäer haben unser Land kolonisiert, sie haben uns alles genommen, bis auf eine einzige Sache: Unsere Kultur."

Wie aber hat sich die Lage der Jugendlichen in Senegal seit dem Erfolg Macky Salls bei der Präsidentschaftswahl 2012 verändert? Thiat winkt entnervt ab: "Der neue Präsident hat uns alle enttäuscht. Bis heute kann die Regierung ihren Bürgern weder eine vernünftige Bildung noch eine gute Gesundheitsversorgung bieten". Die Angebote Macky Salls, die Rapper mit Regierungs-Jobs "zu kaufen", hatten diese dankend abgelehnt. Lieber übe man sich als "Wächter der Demokratie".

"Die gleichen Katzen, die gleichen Hunde/ die gleichen Versprechen/ und wir sind schon wieder enttäuscht" sangen Keur Gui auf ihrem 2014 erschienenen Album "Encyclopedie". Ob sie da nicht verstehen könnten, wenn viele Jugendliche den letzten Ausweg in einer Flucht nach Europa sähen? "Klar bietet eine Ausbildung im Ausland oft die einzige Chance", sagt Thiat. Enttäuscht sei man auch vom Westen, der in das Land viel mehr investieren, Anreize durch Fortbildungen und Arbeitsplätze schaffen könne. Trotzdem rufe man die jungen Leute auf, hier zu bleiben. "Wir haben eine Demokratie, wir haben Redefreiheit, wer soll das Land verändern, wenn nicht wir?"

Keur Gui , Freitag, 27. Oktober, 18.30 Uhr (Film und Gespräch), 21.15 Uhr (Konzert), Milla, Holzstr. 28

© SZ vom 25.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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