Konzert:Proletarische Ader

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Waschechter Hamburger mit prächtiger Stimme: Stefan Gwildis. (Foto: Sandra Ludewig)

Der Musiker Stefan Gwildis hat eine der markantesten Soulstimmen in Deutschland. Es dauerte aber lange, bis er damit auch Erfolg hatte

Von Oliver Hochkeppel

Tal der Ahnungslosen" hat eine frühere Promoterin von Stefan Gwildis München einmal genannt. Das war 2004, als der Sänger mit der unverwechselbaren, in Deutschland einzigartigen Soulstimme seinen lange überfälligen Durchbruch feierte. "Neues Spiel" hieß das Album, auf dem Gwildis Soulklassiker wie "Papa Was A Rolling Stone" mit witzig-hintergründigen, zum Teil auch politischen Texten neu interpretierte und auflud. Diese CD, wie die Nachfolger "Nur wegen Dir" und "Heut ist der Tag" katapultierten Gwildis in die Charts und verschafften ihm fast überall im deutschsprachigen Raum volle Hallen - nur nicht in München. Und ganz ist das immer noch nicht überwunden. Kann Gwildis in seiner Heimatstadt Hamburg jederzeit 5000 Leute für einen Auftritt mobilisieren, muss man hier erst einmal abwarten, ob die kleine Freiheizhalle bei seinem Tour-Zwischenstopp voll wird.

Was immer noch und immer wieder verblüffend ist, gehört Stefan Gwildis doch nicht nur zu den besten Sängern der Republik, sondern auch zu den besten Live-Performern und Entertainern. Das bewies er schon in den Achtziger- und Neunzigerjahren in Musicals, als Musikkabarettist im Schmitt-Theater und in der heute legendären Show "Auto Auto", oder als Sänger und Gitarrist der Strombolis, wenn auch ohne den verdienten großen Erfolg. Der ist ihm heute treu, zuletzt glückten Gwildis zusammen mit der NDR-Bigband mitreißende Crooner-Abende im klassischen Rat-Pack-Stil. Üblicherweise, wie jetzt auch bei der aktuellen "Alles dreht sich"-Tour, werden seine Konzerte indes zu großen Soul-Feiern. Was sicher auch damit zu tun hat, dass sich der Sohn eines Reifenhändlers und einer Hutmacherin seine proletarische Ader und einen Blick für die kleinen Leute und Dinge erhalten hat. Nie hat Gwildis sich verbogen, und weil die Karriere spät und erst nach viel Straßenmusik und diversen Brotjobs vom Lagerarbeiter bis zum Lkw-Fahrer begann, hat er sich die Demut erhalten.

Dazu gehört, dass Stefan Gwildis bedingungslos zu den Leuten steht, die mit ihm durch Dick und Dünn gegangen sind. Mögen seine großen Shows mitunter mit Chören, Bläsersätzen, Background-Ladies und Gaststars bestückt sein, für die eigentliche Arbeit an Texten und Songs wie für das Touren vertraut Gwildis auf die alten Kumpels wie Michy Reincke, Rolf Claussen, Mirko Michalzik oder der Bassist Achim Rafain. Seine Freunde stellen auch in der Freiheizhalle die fünfköpfige Band. "Das muss ja sein. Das ist einfach das Vertrauen, das man über lange Jahre aufgebaut hat. Das ist unschlagbar", sagt Gwildis. Authentisch sind auch die neuen Songs, wie er gerne bestätigt: "Das kommt alles direkt von mir oder aus meiner Ecke. ,Wo wir hingehen' etwa ist die Geschichte von den letzten Fragen, wie ich sie mit meinem Vater erlebt habe, und wie Rolf Claussen sie mit seiner Mutter im Pflegeheim erlebt hat." Auch das vom tristen Alltag erkaltete "Doppelhaushälftenherz" hat er selbst oft beobachtet, wenn auch nicht wie im Song als Bofrost-Mann. Und dass der Hamburger Gwildis "Mein Meer" besingt und zum Runterkommen und Klarwerden in einer hektischen Zeit das "Pollerhocken" am Pier empfiehlt ("Schiffe gucken, Schnauze halten"), ist ohnehin klar, hat er doch schon so manche Hansestadt-Hymne geliefert.

Natürlich darf neben Groove, Herz und Seele auch der Humor nicht fehlen. Etwa wenn Stefan Gwildis bei "Naja Naja" im Samba-Takt mit dem Klischee von den steifen Deutschen spielt ("Wir sind total verrückte Sklaven der Musik"). Es geht also richtig rund bei "Alles dreht sich", und es ist fast schon eine Frage der Ehre, dass sich München diesmal mitdreht.

Stefan Gwildis , Freitag, 4. März, 20 Uhr, Freiheizhalle, Rainer-Werner-Fassbinder-Platz 1

© SZ vom 03.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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