Konzert:Philosophisch tanzen

Lesezeit: 3 min

Posaunist Roman Sladek und seine "Jazzrausch Bigband" auf dem JZ Festival Shanghai. (Foto: JZ Festival Shanghai)

Die Münchner "Jazzrausch Bigband" hat Auftritte in China und Amerika hinter sich. In der Muffathalle wird die Veröffentlichung des zweiten Albums gefeiert

Von Oliver Hochkeppel

Sucht man nach dem Aufsteiger im deutschen Jazz der jüngsten Vergangenheit, dann landet man bei einem Kollektiv: Es ist die Münchner Jazzrausch Bigband. Denn in nur drei Jahren ist aus einer Studentenband, die in einem kleinen Club in der Innenstadt (das ehemalige "Rausch & Töchter", daher der Bandname) eine Auftrittsmöglichkeit fand, ein Jazzunternehmen mit 35 fest dazu gehörenden Musikern (also einer komplett doppelten Besetzung) geworden, das weit mehr als 100 Auftritte im Jahr absolviert - mitunter an zwei Orten gleichzeitig - und im vergangenen Sommer bei nahezu keinem wichtigen Festival fehlte, weit über den reinen Jazzbereich hinaus.

Ohnehin ist dies wohl der Schlüssel des Erfolgs: Von Anfang an setzte die Jazzrausch Bigband darauf, die Grenzen des gewohnten Bigband-Jazz zu sprengen und so auch andere Spielorte und ein neues Publikum zu erobern. Dahinter steckt natürlich eine treibende Kraft: der Gründer, Leiter, Organisator und Posaunist Roman Sladek. Ein Workaholic ist der inzwischen 29-Jährige, der schon mit 16 im Landesjugendjazzorchester saß und nicht nur ein Doppelstudium in klassischer und Jazz-Posaune mit dem Musiklehrer- und dem klassischen Konzertdiplom, sondern auch ein doppeltes Aufbaustudium als Master in Jazzposaune und in Kultur- und Musikmanagement absolviert hat. Seit einem halben Jahr hat er mit Slatec auch eine kleine Besetzung (ein durchgehend improvisierendes Sextett mit drei Schlagzeugern!) ausgekoppelt, die erst vor zwei Tagen von einer USA-Reise zurückgekehrt ist. Und weil er ja sonst wenig zu tun hat, spielt er gelegentlich auch noch in anderen Ensembles wie Matthias Schriefls Multiorchester mit.

Mit derselben Energie machte Sladek aus der Jazzrausch Bigband eine Allzweckwaffe, die alles spielt von traditionellem Swing-Klassik-Verarbeitungen (etwa ein Bruckner-Programm) über Hip-Hop-Soul (mit der Rapperin Fiva) bis zu teilweise avantgardistischen Suiten, die man sich von befreundeten Komponisten wie den New Yorkern Martin Sailer oder Aaron Parks schreiben lässt. Vor allem aber kreierten sie - neben der Hamburger Meute vielleicht - Techno-Jazz. Diese außergewöhnliche und außergewöhnlich mitreißende Kombination machte sie zum international gefragten Phänomen. Als weltweit einzige "resident Bigband" in einem Techno-Club (dem Harry Klein), wie man sich selbst bewirbt, wurden sie im vergangenen Jahr als erste deutsche Bigband ans New Yorker Lincoln Center eingeladen, woraus sie eine kleine USA-Tournee strickten.

"Das war eine große Investition," berichtet Sladek, "aber es hat die Band enorm weitergebracht. Musikalisch, und natürlich von der Aufmerksamkeit her, die uns jetzt zuteil wird." So sehr, dass man sogar in China auf die Bigband kam. Drei Wochen war man dort im Oktober unterwegs. "Wir waren in Shanghai Headliner beim JZ Festival, open air mitten in der Stadt, wo auch richtige Jazzstars wie Branford Marsalis am Start waren; und in Peking artists in residence. Drei Wochen am Stück jeden Abend zu spielen, das kennen wir jungen Jazzer ja nur noch aus alten Geschichten. Es dann selbst zu machen, war etwas ganz Besonderes. Wir konnten erahnen, wie es früher in der großen Bigband-Ära war. Auch da war der Jazz ja Tanzmusik. Es mag innovativ sein, was wir kombinieren, aber eigentlich ist es auch der Schritt zurück zu den Ursprüngen, zurück in die Tanzclubs. Nur dass das Village Vanguard eben heute das Harry Klein ist. Dabei geht es eben auch darum, dass man auf der Bühne ausstrahlt, wie glücklich man mit dem ist, was man da machen darf. Die Leute merken, wie viel Spaß wir haben - und haben dann umso mehr selber welchen." Entsprechend umjubelt feierte in China ihr neues, zweites Techno-Programm "Dancing Wittgenstein" Weltpremiere. Der Titel stammt wie die Kompositionen wieder vom "Bandintellektuellen", dem Philosophie- und Physik-affinen Gitarristen Leonhard Kuhn.

"Die Band ist besser, der Stil schärfer", findet Sladek im Vergleich zum ersten Technojazz-Projekt "Moebius Stream" und kommt dann doch ein bisschen ins Schwärmen. "Es sind große Schritte, die wir gerade machen. Nicht nur auf der Bühne und im Zusammenspiel, auch zwischenmenschlich. Wir sind eine neue Musikergeneration, die eine gleichberechtigte Beteiligung an so einer Band entwickelt. Jeder soll sich mit ihr wohlfühlen und identifizieren." Wie wohl sie sich fühlen, kann man nun bei der großen München-Premiere von "Dancing Wittgenstein" (das live eingespielte Album erscheint am selben Tag) in der Muffathalle erleben.

Jazzrausch Bigband ; Freitag, 16. November, 20 Uhr, Muffathalle, Zellstraße 4

© SZ vom 16.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: