Konzert:Kollektiver Geist

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Psychedelische Gefühle zum Selberbasteln: "Die Türen" haben für ihr aktuelles Werk eine kurze Zeit das Leben als musikalische Hippie-Kommune geprobt. (Foto: Markus S. Fiedler)

"Die Türen" haben sich in einem Landgasthof eingeschlossen, um ihr neues Album "Exoterik" aufzunehmen. In den Kammerspielen präsentieren sie die Ergebnisse des Experiments

Von Michael Zirnstein

Man vergisst schnell, dass Maurice Summen seit 15 Jahren das Indie-Plattenlabel Staatsakt nicht nur deshalb betreibt, weil es "natürlich geil" ist und er mit all seinen Musikerfreunden von Bonaparte über Die Sterne bis zu den Münchner Durchstartern Friends of Gas darauf eine Menge Fetz haben kann. Sondern weil das schon auch ein Geschäftsmodell ist. Summen ist auch Geschäftsmann. Das merkt man spätestens dann, wenn er von einer Besprechung mit Münchner Software-Entwicklern zum Interview kommt und Satz-Kathedralen erbaut wie diese: "Ich stecke seit gefühlt 20 Jahren in den Digitalisierungsprozessen der Plattenindustrie und habe das Gefühl, dass die Arbeit für den Menschen in den Systemen genauso anwächst wie die Vorteile der Distribution oder Abrechnung mit dem System, oder diese sogar exponentiell übersteigt." Soll heißen: Trotz Computern braucht es immer noch Menschen wie ihn im Musikgeschäft.

Aber sogleich wundert sich Maurice Summen, dass er, der ja Staatsakt einst nur gründete, weil niemand das Debüt seiner Band Die Türen veröffentlichen wollte, sich "mit so was beschäftigen muss". Eigentlich will er Musik machen, mit seinen Freunden aus Teenager-Tagen: Gunther Osburg und Ramin Bijan sowie den auch schon seit zehn Jahren mitspielenden Chris Imler und Andreas Spechtl. Weil sie aber in Berlin zu sehr abgelenkt und verstrickt waren, um für den Jubel-Abend "15 Jahre Staatsakt" etwas zu basteln, schlossen sie sich in einem Landgasthof bei Ringwalde in der Märkischen Schweiz ein paar Tage lang weg. "Ein Experiment: Keiner brachte Ideen mit, nur das Equipment, seine Fertigkeiten, seine Erfahrung und diese uralte Vertrautheit. Man weiß: Am Ende kommt immer was dabei herum."

Sie erprobten das Leben als Musikhippie-Kommune wie dereinst die Krautrocker. Und so klangen sie dann auch in ihren endlosen Sessions in dem riesigen, halligen Festsaal. Mal ließen sie sich vom Regionalexpress durch die Schorfheide inspirieren und glitten an Kraftwerks "Trans Europa Express" angelehnt "auf den Schienen der Vergangenheit" dahin. Mal hielten sie einfach die feuchte Schnauze in den Wind wie Vierbeiner am Welthundetag: "Heute ist Welthundetag / Und wir gehen in den Park / Lassen uns Kraulen/ Hundeseele baumeln." Wau, wau! Wie immer gerne genial gaga, am ehesten noch mit Helge Schneiders Improvisationen vergleichbar, wenn Summen zu jazzigen Frickeleien immer wieder stammelt: "Ich hab's irgendwo hingelegt ..."

Aber immer hat das Haltung. Wenn sie eine "Antifa-Fiesta" feiern oder in "Miete, Strom, Gas" beklagen, für was ein Künstler heute so schuften muss. Viel mehr als drei Worte muss man nicht sagen, findet Summen, versteht eh jeder, was gemeint ist. "Wir haben in den vergangenen 15 Jahren so viel Text abgesondert, da brauche ich mich als Sänger nicht so breit machen, es war schön, der Musik mehr Raum zu geben." Sie ließen es laufen.

Die sieben Stunden Material dampften Die Türen nach den Sessions auf ein immer noch zweistündiges Dreifach-Vinyl-Album ein. Obwohl es ihnen unter dem philosophischen Titel "Exoterik" um eine Zugänglichkeit und ein Commitment für alle geht, sind die gegen Ende immer länger dauernden Klang-Eskapaden von 20 Minuten und mehr eher als "tolles Statement gegen die Streaming-Welt" zu verstehen, "wo jeder versucht, mit seinen Stücken unter 1,30 zu kommen". Aber man komme schon rein, glaubt Summen, "nach dem Einstieg über das Songhafte kann man sich immer mehr auf die epischeren, experimentelleren Momente einlassen".

Und freilich wollen sie mit ihren Indie-Hits auch die Gäste in den Kammerspielen abholen, ehe sie - auch mit Videos von Markus Fiedler, der dabei war - den kollektiven Geist der Schorfheide heraufbeschwören. Maurice Summen glaubt ohnehin, dass man dem Publikum "mehr zutrauen" kann - so wie zuletzt bei ihrem Staatsakt-Abend in den Kammerspielen. Da fiel die Zugnummer Andreas Dorau aus, und er musste den Pop-Dramaturgen Christoph Gurk "stundenlang" davon überzeugen, stattdessen seine Neulinge spielen zu lassen: International Music. Heute sind sie die großen Lieblinge der Szene. "Da freut sich der Label-Papa", sagt Summen.

Die Türen ; Mittwoch, 6. Februar, 20 Uhr, Kammerspiele, Kammer 2, Falckenbergstraße 1

© SZ vom 06.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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