Konzert:Klangrausch zum Fest

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Der Dirigent Hansjörg Albrecht führt mit dem Münchener Bach-Chor und dem Bach-Collegium das Weihnachtsoratorium auf

Von Rita Argauer, München

Bachs Weihnachtsoratorium wurde erstmals 1734 in Leipzig aufgeführt. Gegenwärtig führt dieses Werk traditionell durch die Adventszeit. Laienensembles, Kirchenchöre, semi-professionelle Musiker und Profi-Orchester gestalten damit das Klassik-Programm der Weihnachtszeit. In München steht all dem voran der Münchener Bach-Chor, der nun mit Simone Kermes und Angelika Kirchschlager, sowie Martin Platz und Markus Eiche zum dritten Adventssonntag damit auftritt. Die musikalische Leitung hat Hansjörg Albrecht. Doch der Organist, Dirigent und künstlerische Leiter des Münchener Bach-Chores bricht aus der Traditionsrolle in diesem Ensemble gehörig aus. Albrecht benutzt für seine Interessen das Wort "Universalmusiker", jedoch ohne sich dadurch als besonders genial beschreiben zu wollen. Vielmehr will er sagen, wie sehr ihn Musik, epochen- und stilübergreifend, interessiert. Das ist kein einfacher Weg. Man schreibt den Musikern, die sich in die Musik und Spielweise einer Epoche immer weiter hineingraben, viel schneller ein enormes Fachwissen zu - ein Vertrauensvorschuss auf künstlerischem Gebiet. Den muss sich Hansjörg Albrecht auf seinem künstlerischen Weg jedoch immer wieder von Neuem erarbeiten. Denn er spielt Bach. Aber auch Wagner, dessen "Ring" er 2006 allein an der Orgel einspielte. Er hegt aber auch eine Faszination für Walter Braunfels oder auch für die Moderne und Zeitgenössisches.

Damit tut er sich vermarktungstechnisch gesehen keinen Gefallen. Dafür hat er andere Ziele: Er möchte etwa auf jeden Fall irgendwann in den kommenden Jahren eine Wagner-Oper dirigieren, sein Braunfels-Projekt weiter führen und Konzerte programmieren, die die Musik nicht in Epochen unterteilen, sondern zeigen wie unabgeschlossen das eigentlich alles ist. So macht er durch zahlreiche Querverweise die westliche Musiktradition von Bach bis heute als eine immer weiter forschreitende Entwicklung sichtbar.

Musik, die einen Raum mit Klang überschwemmt, faszinierte ihn schon als Kind. Albrecht wurde 1972 im sächsischen Freiberg geboren. Er beschreibt es heute als einen "Rausch", als er das erste Mal die große Orgel im Freiberger Dom hörte: "Man kommt als Kind in so einen Raum und erlebt diese Überwältigung, ohne eine Erklärung dafür zu haben." Seine musikalische Bildung bekam er dann in Dresden, von der 4. Klasse an sang er im Kreuzchor. Eine Jugend voller Musik. Neben dem Chor bekam er Klavier- und Orgelunterricht. Vor allem aber prägte ihn Martin Flämig, der damalige Kreuzkantor. "Der war wie ein Fossil aus einer anderen Zeit, sehr unnahbar", sagt Albrecht. Von der 8. Klasse an bekam er Unterricht bei Flämig im Blattspielen und Dirigieren, so dass er Probenvertretungen übernehmen konnte. Später bestand er die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule Weimar, dann kam die Wende und alles anders: Hansjörg Albrecht studierte Dirigieren und Orgel in Hamburg, Lyon und Köln.

Albrecht ist ein Mensch, dessen Gedanken schnell springen. Blitzschnell stellt er Verbindungen zwischen Musik, Gefühlen und philosophischen Ideen her. So äußert er etwa mehr am Rande die Beobachtung, dass es viel weniger Werke für festliche Anlässe gibt als für Trauer und Verlust. Er spinnt den Gedanken weiter, dass Verlusterfahrungen für Menschen ungreifbar sind und dass da deshalb die Musik, als so abstrakte Kunst, eine Leerstelle zu füllen vermag. Ein wahrer, kleiner Gedanke, doch da erzählt Albrecht schon wieder fast entschuldigend, warum er sich nicht auf eine Epoche beschränkt und er sich vielmehr für solche gesamtmusikalischen Betrachtungen begeistern kann. Es ginge ihm nicht um ein "Fließbandrepertoire", erklärt er, will sich nicht anmaßen zu sagen, "ich kann alles". Es geht ihm vielmehr um eine "Urleidenschaft am Klang".

2005 wählte ihn der Münchener Bach-Chor zum Nachfolger von Hanns-Martin Schneidt. "Ich wollte die Chance nutzen, Chor und Orchester im Sinne Karl Richters wieder aufzubauen", sagt er und rüttelt das ein wenig "plüschige und altertümliche" Ensemble mit seinen Mitteln wach. Die sind auch hier wieder Akribie, Wissen und eine darin liegende Leidenschaft. Er stellt eine Historie über Bach in Bayern zusammen und baut Programme, die aus über die Epochen springenden Querverweisen bestehen. Manchmal fühle er sich wie ein Quereinsteiger, sagt er. Mit der traditionellen Aufführung von Bachs Weihnachtoratorium trifft er aber nun - wie jedes Jahr - mit dem passenden Inhalt die richtige Zeit.

Münchener Bach-Chor: Weihnachtoratorium , Sonntag, 17. Dezember, 19 Uhr, Philharmonie, Gasteig, Rosenheimer Straße 5

© SZ vom 16.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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