Konzert:Heimat ist, wo die Moldau erklingt

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Einen begeisterten Empfang bereiteten die Prager dem Chefdirigenten der Bamberger Symphoniker Jakub Hruša. Der stammt zwar aus Brünn, wird aber auch in der tschechischen Hauptstadt sehr geschätzt. (Foto: Andreas Herzau)

Die Bamberger Symphoniker eröffnen unter Jakub Hruša das Festival "Prager Frühling"

Von Egbert Tholl

Erst einmal erklingt die Nationalhymne Tschechiens, alle stehen auf. Die Eröffnung des Festivals "Prager Frühling" gleicht einem Staatsakt. Seit 1946 existiert das Festival, seit 1959 wird es jedes Jahr am Todestag von Bedrich Smetana mit dessen "Ma Vlast" ("Mein Heimatland") eröffnet. In diesem Jahr zum ersten Mal von den Bamberger Symphonikern, die hier schon einmal gespielt haben, aber noch nie zur Eröffnung. Im Smetana-Saal im Gemeindehaus von Prag. Konzert im Gemeindehaus klingt bei uns nach Feuerwehrkapelle in Germering, hier ist es anders. Das Gemeindehaus ist ein Jugendstilprachtbau, ein Theater für die Musik. Alles glänzt. Aus dem Bierkeller darunter dringt ein anregender Sauerkrautgeruch bis in den Saal. Der passt zur Musik.

Das Orchester wird hier auch als Musterbeispiel für Versöhnung gefeiert. 1946, im Jahr der Gründung des Festivals, versammelten sich die geflohenen, vertriebenen Musiker der ehemaligen Deutschen Philharmonie Prag in Bamberg, um dort fortzusetzen, was sie über Jahrhunderte in Prag getan hatten - das Orchester spielte zum Beispiel bei der Uraufführung von Mozarts "Don Giovanni". Auch wenn aus dieser Zeit kein Musiker mehr im Orchester spielt, eine Tradition des Klangs, warm, dunkelglühend, haben sie sich bewahrt. Im Programmheft des Staatsakts wird Jakub Hruša zitiert, verweisend auf den einstigen immensen Beitrag des Orchesters zum kulturellen Leben in Prag. Und auf die Tradition. "Meine Musiker und ich haben Smetanas Musik als die eigene angenommen." Nun, Hruša stammt aus Brünn, hat in Prag studiert, unter anderem beim ehemaligen Leiter des Festivals, Jiří Bělohlávek. Hruša, noch keine 40 und von jugendlichem Charme und Enthusiasmus, ist seit 2016 Chef der Bamberger Symphoniker und hat seinen Vertrag gerade bis 2026 verlängert. Sein Vorgänger Jonathan Nott profilierte sich eher als Mahler- und auch Wagner-Dirigent. Mit Hruša kommt nun ein anderes Erbe des Orchesters stärker zum Tragen. Für ihn ist es selbstverständlich, "Ma Vlast" in Gänze, also alle sechs Teile, aufzuführen. In Deutschland spielt man normalerweise meist nur die ersten vier oder oft auch gleich nur die "Moldau".

Angeblich war das Eröffnungskonzert in siebeneinhalb Minuten ausverkauft. Prag feiert Hrušas Rückkehr. Im Foyer werden Schallplatten verkauft. Die Aufnahme von "Ma Vlast" vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Kubelik. Auch andere bayerische Orchester schätzt man hier, aber der Triumph der Bamberger ist umfassend. Hruša bedankt sich danach bei seinen Musikern: "Ich mache das, was ich bin. Sie erlauben mir das, und ich bin von Ihnen inspiriert." 106 Musiker auf dem Podium, mehr würden auch nicht Platz finden. In Prag, so die Tradition, verdoppelt man die Bläser, nach dem dritten Satz tauschen die ihre Plätze untereinander. Vier Harfen, wichtig für den Beginn des Stücks, mythisches Erwachen. Was dann erwacht, ist fabelhaft. Sicherlich sind alle Beteiligten ob des Anlasses aufgeregt, aber diese Aufregung kanalisiert sich in pure Energie. Das ist umso erstaunlicher, weil die Musiker an diesem Tag bereits drei Stunden "Ma Vlast" hinter sich gebracht haben - am Vormittag wurde ein konzertreifer Mitschnitt als Back-up für die Fernsehübertragung hergestellt.

Für Smetana-Verhältnisse klingt die Musik auf einmal geradezu modern. Hruša mag das Schroffe, keine polierten Oberflächen. Er formt die Musik so disparat wie möglich, rasend aufregend. Die Moldau tost der Mündung in die Elbe entgegen, der erste Satz ist scharf, in Momenten fast dissonant. Und auch wenn das Hymnische bedient wird: Nie fühlt man Pathos. Nur Leidenschaft. Die Verdopplung der Bläser schafft eine Fülle krasser Akzente, wie Lichtblitze in einem Gewitter. Sogar die Sätze fünf und sechs, die Smetana eher kraftlos Jahre nach den ersten vier komponierte, gewinnen die Kraft von Drama, lyrischer Erzählung und einem Fest. Bei der Wiederholung des Konzerts tags darauf fehlt ein bisschen die überbordende Energie des Vortags, man hört deutlicher, wo Smetana in einer Geröllhalde musikalischer Ideen herumkramte.

Kurz bevor die Bamberger Symphoniker "Mein Heimatland" spielen, haben sich auf dem Altstädter Ring, dem zentralen Platz der Prager Altstadt, an die 25 000 Menschen zu einer Demonstration versammelt. Sie werfen dem Premierminister Andrej Babiš vor, mit Hilfe der neu ernannten Justizministerin Marie Benešová die Korruptionsvorwürfe gegen ihn selbst vertuschen zu wollen. Sie wollen Gerechtigkeit, protestieren auch gegen den europafeindlichen Kurs der Regierung, schwenken tschechische und noch mehr EU-Flaggen. Auch eine Demonstration von Heimat.

© SZ vom 15.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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