Konzert:Ein Punker als Pate des Pop

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Ohne Pudelfrisur und auch musikalisch runderneuert: Marian Gold, heute 64, lässt Alphaville weiterleben. (Foto: Polarkonzerte)

Marian Gold ist auf Tour mit seiner Band "Alphaville", die Mitte der Achtzigerjahre von Deutschland aus zu internationaler Bekanntheit aufstieg

Von Michael Zirnstein

Die Sonne schien, und es sah aus wie nach dem Weltuntergang. Während Marian Gold in einem Münchner Kellerstudio die zukunftsängstlichen Zeilen "Will you drop the bomb or not" für den Song "Forever Young" ahnungslos eingesungen hatte, und übrigens der hiesige Schlagzeuger Curt Cress auf die Trommeln gehaut hatte, zerdepperten am 12. Juli 1984 Hagelkugeln Autodächer und Schrebergartengemüse. Wer bei dem meteorologischen Minibombenabwurf dabei war, sucht heute noch beim kleinsten Graupelschauer Deckung. "Schade, dass ich nichts davon mitgekriegt habe", sagt der Sänger. Marian Gold, aufgewachsen in Herford am Teutoburger Wald als Hartwig Schierbaum, hatte immer einen Hang zur Dramatik, gerade in den pathetischen Songs seiner Band Alphaville, die weltweit Hits waren. "Forever Young" landete in den USA auf Platz 1 der Dance-Charts und in den britischen Top 10.

Alphaville waren mit ihrem 1984 erschienenen Album "Forever Young" eine der prägenden Bands, und doch waren sie eigentlich keine Popper. Das Trio mit Marian Gold und den Keyboardern Bernhard Lloyd und Frank Mertens, benannt nach dem Godard-Film, erhob sich - wer würde das bei dem melodiesatten New-Romantics-Sound ahnen? - aus dem Punk. Gold strandete 1976, unehrenhaft aus der Bundeswehr geworfen, in Berlin. Dort gründete er mit anderen Hausbesetzern ein sozialistisches Kollektiv namens Nelson. "Wir wollten Kunst verkaufen für die gemeinsame Kasse." Mangels Probenraum siedelten sie zu zwölft um nach Münster, wo die Oma einer Schlagzeugerin eine Mietskaserne besaß und ihnen einen Keller gab. Gold empfand die Zeit als Exil, die Songs, die da entstanden, spiegeln sein Heimweh nach dem kaputten Berlin, selbst "Big In Japan", das die Träume der Junkie-Szene am Bahnhof Zoo schildert: In Japan könne man groß rauskommen. Die Single wurde der erste Welthit von Alphaville - und zerriss die Nelson-Kommune, mit der sie "eigentlich die Welt eroberten wollten". Der Wirt, für den Gold Kartoffeln schälte, sagte: "Hey, die spielen euren Song im Radio" - und warf ihn raus. Er trampte nach Berlin und bekam noch ohne Album Vertragsangebote von drei großen Plattenfirmen.

Irgendwie blieben sie Punk. Auch sie beherrschten kein Instrument. Während andere dennoch in Gitarrensaiten prügelten, schafften sich die drei die nun erschwinglichen Synthesizer an. "Alphaville hätte es ohne Sequenzer und Rhythmusmaschinen nicht gegeben", sagt Gold, damit konnten sie Musik nachbasteln, die sie aus ihren Schallplattensammlungen im Kopf hatten. Das war in Golds Fall ein Mix aus David Bowie ("totales Idol"), OMD, Kraftwerk, Roxy Music (der Sound) und Freddy Quinn (Kindheitsheld). Albumvorschuss und Profistudios boten ihnen nun alle Möglichkeiten, die sie klanglich aber in Konzerten nie umzusetzen vermochten. 1982 und 1983 traten sie je einmal in einer Provinzdisco auf, in der Lloyd als DJ arbeitete, dann zehn Jahre nicht mehr, mit Ausnahme des Anti-WAA-Festivals in Burglengenfeld mit der Biermösl Blosn ("Suuuper Band!", findet Gold). Sie engagierten sich durchaus, aber nicht in ihrer Musik. "In dem Moment, wo man Politik macht, hört man auf, Kunst zu machen", sagt Gold, "wir Künstler schreiben den Soundtrack zur Geschichte, aber wir ändern nichts."

Zum künstlerischen Selbstverständnis gehörte für sie auch, Halbplayback-Shows oder Auftritte mit gebuchter Backing-Band auszuschließen. "Ich habe ich in den Achtzigern sehr darunter gelitten, dass wir nicht auftraten. Ich war Frontmann, ich konnte ja singen." Ein neuer Manager trieb sie später an, Konzerte zu spielen. Die erste Show, nun mit Ricky Echolette statt Mertens, stieg 1992 auf Einladung der deutschen Botschaft im vom Bürgerkrieg gezeichneten Beirut. Mit Jeeps und in die Luft ballernd die Menge auseinandertreibender Eskorte rasten sie zum Spielort im christlichen Nordteil, blickten in Wohnungen ohne Außenwände "wie in Puppenhäuser". Golds Blick blieb hängen an einem von Schüssen zersiebten Kupferschild einer Mickymaus. "Das kriegst du nicht zusammen, politisch, soziologisch, ethnologisch - das war wie LSD."

Der Rausch der Hit-Ära ebbte ab. "Sehe ich heute Fotos von mir mit Pudelfrisur und Schulterpolstern, könnte ich mich totlachen. Peinlich ist mir das aber nicht, peinlich wäre es, wenn ich heute noch so aussehen würde", sagt Gold. Gleiches gilt für den Sound. Ohne Lloyd und Mertens machte er weiter, trat 2002 alleine mit Orchester bei der Nokia Night of The Proms auf, scharte eine Band um sich, mit der er anders als in der Urbesetzung und ganz dem Pop-Chamäleon Bowie folgend auf immer ambitionierteren Alben auch Rock, Blues, Klassik und Jazz-Idiome ausprobieren konnte. Live klingt kein Song mehr so wie auf der gerade wiederveröffentlichten, frisch aufpolierten Debütplatte "Forever Young". "Ich stelle mir bei Konzerten eher vor, was das Publikum heute antörnt", sagt das letzte Alphaville-Urmitglied. Auch etliche andere haben das zeitlose "Forever young" in ihre Zeit versetzt, der US-Rap-Guru Jay Z etwa oder eine polnische Heavy-Metal-Band, Bushido und Karel Gott brachten es im Duett 2009 auf Platz 1. Meist ist der Song dann eine dramatische Ballade, die ursprünglich ironische Aussage von einer in Style und die Ewigkeitslüge verliebten Jugend ins Gegenteil verkehrt. Als achte keiner auf den Hagelsturm, der sich zusammenbraut - heute nicht anders als damals.

Marian Golds Alphaville , Mittwoch, 10. April, 20 Uhr, Technikum, Speicherstraße 14

© SZ vom 10.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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